von Jutta Sommerbauer
Kränze und Blumen liegen dieser Tage am Fuße des unscheinbaren Denkmals im Zentrum der bulgarischen Stadt Plovdiv. »All jenen gewidmet, die am 10. März 1943 halfen, uns zu retten«, steht auf einer kleinen Platte geschrieben, »Von der dankbaren jüdischen Gemeinde in Plovdiv«.
Der heute 69jährige Simantov Madjar erinnert sich noch an jenen Tag. Damals wurden mehrere Hundert Plovdiver Juden, darunter seine Eltern und er, in der jüdischen Schule für den Abtransport in die Konzentrationslager zusammengetrieben. Bulgarien war ein Verbündeter Nazi- Deutschlands, hatte seit 1940 antisemitische Gesetze erlassen, die Deutschen drängten auf die Auslieferung der jüdischen Bevölkerung. Doch es kam nie soweit.
Im ganzen Land regte sich in den Märztagen des Jahres 1943 Protest: Vertreter der jüdischen Gemeinde sprachen bei Regierungsmitgliedern vor, Parlamentsabgeordnete unterzeichneten eine Petition gegen die geplanten Transporte, die orthodoxe Kirche und Berufsverbände protestierten scharf gegen die unmenschlichen Maßnahmen. Schließlich lenkte der autoritär regierende Zar Boris III. ein und verschob die Deportationspläne. Die deutschen Verluste an der Ostfront und die vorrückende Rote Armee kamen schließlich als äußere Faktoren zu Hilfe.
»Nirgendwo zu dieser Zeit haben sich Leute gefunden, die die Juden gerettet haben. Und hier haben die Bulgaren europäisches Denken vorgemacht«, sagt Madjar, Vorsitzender der Organisation der Juden Bulgariens »Shalom« in Plovdiv. Erst mit der Wende 1989 wurde die Verhinderung der Auslieferung, die im Bulgarischen als »Rettung der bulgarischen Juden« bezeichnet wird, erstmals Gegenstand medialer Auseinandersetzung und politischer Kämpfe. Das »Rettungsmonopol« der Kommunistischen Partei und ihres langjährigen Vorsitzenden Todor Zhivkov war gefallen. Aus dem Dunkel der Geschichte tauchte plötzlich eine Vielzahl von Helfern auf.
»Die Debatte über die Rettung war von der Frage dominiert, wer aus der langen Liste wichtiger sei«, erzählt Julina Dadova, die als Kuratorin im Jüdischen Museum in Sofia arbeitet. Die 28jährige Kulturwissenschaftlerin führt tagtäglich Besucher durch die einfach gestaltete Ausstellung, die sich in einem Nebentrakt der prachtvollen sephardischen Synagoge befindet. Die Ereignisse vom März 1943 seien den Besuchern schwer zu erklären, sagt Dadova. »Auf den ersten Blick handelt es sich um eine paradoxe Situation. Wir haben die Rettung von 50.000 Menschen in einem Staat, der ein Verbündeter Nazi-Deutschlands war«, sagt sie. »Die Rettung war trotz unterschiedlicher politischer Ansichten möglich, da sich die Beteiligten über diese Frage einig waren. Das zeugt vor allem von einer funktionierenden Zivilgesellschaft. Es wurde mit allen möglichen Mitteln, die damals zur Verfügung standen, Druck ausgeübt. Und das geschah zu einer Zeit, als Bulgarien weit von einem demokratischen Staatswesen entfernt war.«
Mit der Möglichkeit, öffentliche Debatten zu führen, kehrten die Ereignisse von 1943 ins kollektive Gedächtnis der Bulgaren zurück, erklärt die Zeithistorikerin Iskra Baeva. »Zur Zeit des Sozialismus war das keine breit diskutierte Frage, denn die Beziehungen zwischen Bulgarien und Israel waren nicht die besten. Im heutigen Bulgarien stellt die Rettung der Juden einen der wenigen historischen Fakten aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs dar, auf die man stolz sein kann.«
Doch es gibt ein Kapitel in dieser Geschichte, das weniger ruhmreich ist: die Rolle des Landes als Besatzungsmacht in Makedonien und dem heute griechischen Thrakien. Von dort werden in den Märztagen 11.343 Juden deportiert – über Sofia und Wien nach Treblinka. Vor allem von nationalistischer Seite werde bulgarischen Juden ein »Mangel an Dankbarkeit« vorgeworfen, wenn sie an diese Fakten erinnern, so Baeva.
In Bulgarien ist man stolz auf seinen Ruf als tolerante Gesellschaft und das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher religiöser und ethnischer Gruppen. Doch daß ultra-nationalistische Gruppierungen wie Ataka und der Bulgarische Nationalbund derzeit einen großen Mobilisierungserfolg haben, beunruhigt die kleine jüdische Gemeinde. Die Rettung, sagt Julina Dadova ironisch, sei »eine gute PR für Bulgarien«. Viel schwieriger sei es da schon, die Frage der Toleranz heute angemessen zu thematisieren: »Bei Empfängen und Konferenzen daran zu erinnern, daß das bulgarische Volk die Juden gerettet hat, ist schön. Aber die Frage ist, was wir von da an machen.«