In Amerika werden Ausmaß und Intensität des Antisemitismus in der islamischen Welt unterschätzt. In Deutschland und Europa interessiert das Problem überhaupt nur eine Minderheit. Diese Unwissenheit steht in einem scharfen Kontrast zur obsessiven Beschäftigung mit dem Nahen Osten. Wer wissen will, warum die Hamas Schulbusse in die Luft sprengt, kann es in ihrer Charta nachlesen. Wer nicht begreift, warum der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Konfrontation mit dem Westen sucht, muss ihm nur zuhören.
»Wir haben es mit einem Hardcore-Antisemitismus zu tun, der Juden dehumanisiert und dämonisiert, um sie zu vernichten«, warnt der Politikwissenschaftler Mat- thias Küntzel in seinem Buch Islamischer Antisemitismus und deutsche Politik, und es fällt ihm nicht schwer, diese These zu belegen. Der Antisemitismus verbindet radikale Schiiten und Sunniten, Modernisierer und Traditionalisten, afrikanische und asiatische Islamisten zu einer Kampfgemeinschaft. Er verdichtet die diffusen Angst- und Hassgefühle dieser Gemeinschaft zum paranoiden Verschwörungswahn. Nicht »die Zuspitzung des Nahostkonflikts« hat diesen Antisemitismus bewirkt, sondern »der Antisemitismus jene Zuspitzung«. Es waren die Antisemiten, die immer wieder die Hoffnung auf Frieden zerstört, alle moderaten Kräfte verfolgt und die Tötung von Zivilisten legitimiert haben. Diese genozidale Form des Judenhasses enstand zwar nicht zu Zeiten Mohammeds, aber lange vor der Staatsgründung Israels. Sie entstand, wie Küntzel zeigt, in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts mit massiver ideologischer und materieller Unterstüzung aus Nazideutschland. Damals verschmolzen die Gründer des modernen Islamismus ihren mittelalterlichen Fundamentalismus mit der Wahnidee von der jüdischen Weltherrschaft.
Keine Frage, der islamische Judenhass ist Küntzels Spezialgebiet. Je weiter er sich aber von diesem entfernt, desto schwächer wirken die Argumente. So frischt er das sozialistische Märchen auf, demzufolge die Umstände, für die der Antisemit das Judentum verantwortlich macht, »aus der Totalität des Kapitalismus resultieren«. Das Gegenteil ist plausibler: Wenn es darum geht, den Teufelskreis aus ökonomischer und geistiger Unterentwicklung in der arabischen Welt zu durchbrechen, wird die Entwicklung von Märkten wie zuvor in Ostasien eine zentrale Rolle spielen müssen.
Zu widersprechen ist auch Küntzels Ansicht, wir könnten heute »gar nicht alarmistisch« genug sein. Alarmismus aber verleitet zu Über- oder Fehlreaktionen, wie ernst und unmittelbar die Bedrohung auch immer sein mag.
Sonst aber ist seine Kritik so differenziert wie entschieden. Überzeugend legt Küntzel dar, dass die Blindheit unserer politischen und medialen Eliten für den neuen Totalitarismus die skandalösesten Fehlentscheidungen der deutschen und europäischen Nahostpolitik erklärt. Zu Recht empört er sich über die jahrelange Finanzie- rung palästinensischer Terrorgruppen durch die EU oder die politische Unterstützung deutscher Exporte in den Iran. Von größter Wichtigkeit ist Küntzels erhellende Analyse des iranischen Präsidenten und seine Forderung nach einem Kurswechsel gegenüber Teheran: »Wenn der Iran nicht unverzüglich massiv unter Druck gesetzt und vor die Alternative gestellt wird, entweder seinen Kurs zu ändern oder aber verheerende ökonomische Schäden zu erleiden, bleibt nur noch die Wahl zwischen einer schlechten Lösung – der militärischen Option – oder einer schrecklichen, der iranischen Bombe.« Michael Holmes
matthias küntzel: islamischer
antisemitismus und deutsche politik
Lit, Münster 2008, 184 S., 19,90 Euro