von Ingo Way
Im Stadtzentrum von Erfurt sind durch Zufall die Überreste einer Mikwe, eines jüdischen Bades, aus dem Mittelalter aufgefunden worden. Es handelt sich um einen doppelstöckigen Kellerbau aus sorgsam behauenen Steinquadern. In der von fließendem Wasser gespeisten Mikwe wurde Geschirr rituell gereinigt. Ferner wurde sie von Frauen genutzt, die sich nach der Monatsblutung, vor der Hochzeit und nach Geburten ebenfalls einer rituellen Reinigung unterzogen. Dem Archäologen Sven Ostritz vom Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie zufolge befindet sich die Erfurter Mikwe in einem außerordentlich guten Erhaltungszustand.
Die Erfurter Mikwe wurde erstmals 1250 urkundlich erwähnt. Archäologen vermuteten die Überreste der Mikwe aufgrund alter Quellen schon seit langem in dem Areal nahe der Alten Synagoge, die um 1100 errichtet wurde. Eine systematische Suche vor einigen Jahren verlief allerdings ohne Erfolg und wurde schließlich eingestellt. Nun stießen Bauarbeiter vor drei Wochen bei der Neugestaltung einer Grünfläche in unmittelbarer Nähe der Krämerbrücke auf das jüdische Bad. Nur wenige mittelalterliche Mikwen sind erhalten, wie diejenigen in Worms, Speyer, Köln und Sondershausen (Thüringen).
Im Mittelalter war Erfurt mit 15.000 Einwohnern eine der größten deutschen Städte. Bis zum Judenpogrom von 1349 lebte dort eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands. Zusammen mit der Alten Synagoge, dem ältesten komplett erhaltenen jüdischen Gotteshaus, das derzeit für 1,2 Millionen Euro saniert wird, verfügt Erfurt über ein einmaliges Ensemble jüdischer Baukultur. Hinzu kommen weitere Zeugnisse jüdischen Lebens: zwei jüdische Schatzfunde, ein im Erfurter Domschatz aufbewahrter romanischer Schabbatleuchter, der Erfurter Judeneid (der älteste in deutscher Sprache erhaltene) und die Überreste eines mittelalterlichen jüdischen Friedhofs. Hinzu kommt die heute von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin verwahrte zweibändige hebräische Bibelhandschrift, die 1334 vollendet wurde.
Die Erfurter Stadtverwaltung möchte die neu entdeckte Mikwe erschließen und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Mit einer Dauerausstellung, die in der sanierten Alten Synagoge gezeigt werden soll, will die Stadt außerdem die jüdische Vergangenheit Erfurts angemessen dokumentieren. Der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde, Wolfgang Nossen, erwartet, dass sich die Mikwe zu einem Besuchermagneten entwickeln könnte. »Touristen besuchen ja nur Städte, wo sie etwas Einzigartiges geboten bekommen«, so Nossen.
Vorerst gibt es aber für die Archäologen noch einiges zu tun. »Wir stehen erst am Anfang«, so die Archäologin Karin Szcech. »Noch können wir nicht sagen, wie diese Mikwe funktionierte, wo sich der ursprüngliche Eingang befand und wie lange das Bad in Betrieb war. Sicher ist nur, dass das Bad mit dem weitgehend erhaltenen Tonnengewölbe zu einem Haus am Ufer der Gera gehörte.«