von Alex Feuerherdt
Was lange währt, wird endlich gut. Das weiß schon der Volksmund. Und tatsächlich gab es viele strahlende Gesichter, als Mitte Juni nach jahrelangem, teilweise zähem Ringen die Entscheidung gefallen war, wie das geplante Jüdische Museum in Köln aussehen wird. Oberbürgermeister Fritz Schramma war »dankbar und froh«, Kulturdezernent Georg Quander fiel »ein Stein vom Herzen«, Städtebaudezernent Bernd Streitberger sprach von einer »genialen, fast poetischen Architektur«, und Projektleiter Wilfried Rogasch befand: »Die Quadratur des Kreises ist gelungen.« Die Erleichterung war förmlich mit Händen zu greifen. Aus gutem Grund. Auf dem langen Weg zu einem Jüdischen Museum in der Rheinmetropole waren in den vergangenen Jahrenviele Hürden zu überwinden.
Bereits 1996 hatte sich ein Förderverein gegründet, der für den Bau eines »Hauses und Museums der Jüdischen Kultur« in der ältesten Gemeinde nördlich der Alpen kämpfte. Dieses Haus sollte nicht irgendwo in Köln entstehen, sondern im Zentrum des mittelalterlichen jüdischen Wohnviertels. Dort, wo die Kölner Juden lebten, bis sie 1424 vertrieben wurden. Aus dieser Epoche sind mit den Grundmauern der Synagoge und der Mikwe, dem rituellen jüdischen Tauchbad, zwei herausragende Zeug- nisse jüdischen Lebens erhalten geblieben. »Dieses Viertel ist das wichtigste Monument jüdischen Lebens am Rhein«, konstatiert Benedikt Graf von und zu Hoensbroech, der Vorsitzende des Fördervereins. »Das dort vorhandene archäologische Bauensemble ist in Europa einzigartig.« An kei- nem anderen Ort in Köln sei »ein solches Alleinstellungsmerkmal möglich«.
Heute befindet sich dort, mitten in der Stadt zwischen der Rathauslaube und dem Wallraf-Richartz-Museum, der Rathausplatz. Obwohl er gerade einmal fünf Gehminuten vom Dom entfernt ist, halten sich zumeist nur wenige Menschen dort auf. Es herrscht vor allem Durchgangsverkehr, für Autofahrer wie Fußgänger. Die Straße, die am Rathaus entlangführt, heißt Judengasse – ein Hinweis darauf, dass sich hier einmal das jüdische Viertel befand. Dominiert wird die Platzfläche von einem Zelt, das historische Ausgrabungen schützt: die Überreste der mittelalterlichen Synagoge und Bauten aus der Römerzeit. Sie sind Bestandteile der künftigen Archäologischen Zone auf dem Rathausplatz, die wiederum ein wesentlicher Baustein des Projekts »Regionale 2010« ist, einer alle zwei Jahre stattfindenden Ausstellung des Landes Nordrhein-Westfalen zur Förderung der Strukturentwicklung. Seit Mai dieses Jahres findet jeden Freitag eine halbstündige Führung durch das Zelt statt. Die Teilnehmerzahl ist auf 25 Personen begrenzt; ein Schild weist darauf hin, dass eine Voranmeldung erforderlich ist. »Das Interesse an den Führungen ist groß«, sagt Marianne Gechter, die stellvertretende Leiterin der Archäologischen Zone. »Wir sind teilweise Wochen im Voraus ausgebucht.«
Andere jedoch waren und sind weniger begeistert von den Plänen für eine Um- und Neugestaltung des Platzes, insbesondere von dem Vorhaben, ihn zum Standort des Jüdischen Museums zu machen. Bei nüchterner Betrachtung müsse man feststellen, dass die Städtebauer den Platz vor jedem Rathaus oder Bürgermeisteramt in Europa ganz bewusst freigelassen hätten, schrieb beispielsweise Hanns Schaefer, Vorsitzender des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins, im Kölner Stadt-Anzeiger. »Die Glaspyramide auf dem Rathausplatz, die einen Einblick in die Mikwe freigibt, erinnert an die älteste jüdische Gemeinde in unserer Stadt – natürlich unzulänglich. Rechtfertigt das aber den Neubau, der in seinen Dimensionen die vorhandenen Architekturen zurückdrängt?« Von einem »Platz der Bürger« könne dann keine Rede mehr sein. Karl Jürgen Klipper, Vorsitzender des Kölner Stadtentwicklungsausschusses, wollte ebenfalls keine Veränderung; schließlich sei das im Zweiten Welt- krieg zerstörte Areal vor dem Rathaus »ein Symbol des Wiederaufbaus«.
Auch die Wohnungseigentümer und Betreiber der Geschäfte am Rathausplatz finden keinen Gefallen an einer Bebauung des Geländes. »Wir wehren uns seit Jahren dagegen«, klagt Marlis Mayntz, die Inhaberin einer Damenboutique. »Gemeinsam mit den anderen Laden- und Hausbesitzern haben wir sogar einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um zu verhindern, dass wir ein solches Museum direkt vor die Nase gesetzt bekommen.« Alle fürchteten spürbare Umsatzeinbußen und Wertverlust, sagt sie: »Wir haben jetzt schon viel weniger Kundschaft, seit dieses Zelt da steht. Das Gelände wird jahrelang eine Baustelle sein, und auch wenn das Museum fertig ist, werden wir davon nichts haben.« Das Haus könne doch auf dem Gelände des früheren Kaufhauses Kutz gebaut werden, findet Mayntz: »Es liegt nur zehn Meter Luftlinie entfernt. Ich verstehe einfach nicht, warum es unbedingt der Rathausplatz sein muss.«
Es habe aber nicht nur Einwände gegen den Standort gegeben, sondern das Projekt sei auch prinzipiell abgelehnt worden, sagt Graf Hoensbroech: »Wir haben eine Reihe von Anrufen und Briefen bekommen, die antisemitisch waren. Diese Leute hatten grundsätzlich etwas dagegen, dass überhaupt ein Jüdisches Museum gebaut werden soll.« Mit allen Gegnern habe der Förderverein die Diskussion gesucht, »aber mit einer Minderheit war ein konstruktives Gespräch einfach nicht möglich«.
Doch Hoensbroech ließ sich nicht beirren. Er warb weiter für ein Haus und Museum der Jüdischen Kultur auf dem Rathausplatz. Vor zwei Jahren schaffte er den entscheidenden Durchbruch: Gegen die Stimmen der CDU und bei einer Enthaltung des Oberbürgermeisters entscheidet der Rat der Stadt Köln, dem Förderverein den gewünschten Bauplatz gegenüber dem Kölner Rathaus unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Voraussetzung ist allerdings, dass es dem Verein als Bauherrn gelingt, die benötigten Mittel in Höhe von rund elf Millionen Euro selbst aufzubringen. Zudem beschloss die Stadt die Ausschreibung eines internationalen Architektenwettbewerbs. Dessen Teilnehmer soll- ten ein Modell vorlegen, das nicht nur den Bau eines Hauses und Museums der Jüdischen Kultur umfasst, sondern auch die Archäologische Zone. Die Grabungsstätte und das Museum in einem Konzept zusammenzuführen, das alle Beteiligten zufriedenstellt: wieder eine Hürde.
Vor knapp zwei Wochen kürte ein international besetzter Gutachterausschuss schließlich nahezu einstimmig den Wettbewerbssieger: Den Zuschlag erhielt das renommierte Architekturbüro Wandel Hoefer Lorch + Hirsch aus Saarbrücken, das schon für die Neubauten der Synagogen in Dresden und München viel Lob und Anerkennung bekommen hatte. Nach dessen Entwurf soll nun oberhalb der Archäologischen Zone unter einem wellenförmigen Dach ein mit wenigen Stützen versehenes Tragwerk entstehen, dessen oberer Teil massiv ist, während der untere vor allem aus Glas besteht und Einblicke auf die Grabungen ermöglicht. Die einstige Synagoge und die Mikwe werden vom Museumsbau eingeschlossen und von oben belichtet. Die jüdischen Baudenkmale und das Jüdische Museum bilden so eine Einheit und stellen das mittelalterliche jüdische Viertel in seinen Kon- turen wieder her. An seiner höchsten Stelle misst das Haus 14 Meter; vom benachbarten Wallraf-Richartz-Museum wird es also weiterhin überragt.
Für das Modell gab es Applaus von allen Seiten. Graf Hoensbroech: »Das Konzept ist genial, ja, phänomenal. Die exzellente Architektur berücksichtigt sämtliche Aspekte, sowohl ästhetische als auch inhaltlich-historische, und die Archäologische Zone wird durch sie in keiner Weise beeinträchtigt.«
Auch Projektleiter Wilfried Rogasch ist »äußerst happy«. Die Verquickung des Museums mit der Grabungszone sei »in jeder Hinsicht gelungen, zeitlich wie räumlich«, sagt er. Mit der Umsetzung des Vorhabens werde man nun endlich der historischen Bedeutung Kölns für das Judentum gerecht: »Als einzige unter den großen Städten Deutschlands steht Köln in einer erlebbaren urbanen Kontinuität von der Antike bis zum 21. Jahrhundert. Als einzige Stadt in Deutschland hatte Köln bereits in der Antike eine schriftlich dokumentierte jüdische Gemeinde zu verzeichnen.« Damit seien dort »historische Tiefbohrungen« möglich, wie es sie »in vergleichsweise jungen Städten wie Berlin oder München, Amsterdam oder New York nicht geben kann«. Außerdem besitze Köln in seinen Grundbuchakten »eine Fülle mittelalterlicher Schriftzeugnisse, aus denen sich das jüdische Alltagsleben detailliert rekonstruieren lässt«. Mit der bis ins Jahr 321 nachweisbaren jüdischen Tradition, den archäologischen Denkmalen und der Informa- tionsfülle zum jüdischen Alltagsleben im Mittelalter verfüge Köln gleich über »drei gewichtige Alleinstellungsmerkmale«, sagt Rogasch.
Auf dieser Grundlage wird das Jüdische Museum in einer in sieben Abteilungen gegliederten Dauerausstellung den Bogen bis ins 21. Jahrhundert spannen. Ro- gasch: »Der Themenschwerpunkt des Hauses wird das Judentum in der Antike und im Mittelalter sein. Daneben gilt es, der gesellschaftlichen Verantwortung für die Dokumentation der Verfolgung und Ermordung der Juden durch das nationalsozialistische Deutschland gerecht zu werden. Und schließlich sollen spannende ak- tuelle Tendenzen in Kunst und Kultur des Judentums vorgestellt werden.« Durch Sonderausstellungen und Begleitveranstaltungen werde ein »lebendiger Lernort« entstehen und »ein Begegnungszentrum geschaffen, das an einem authentischen Ort ein deutlich sichtbares Zeichen für Toleranz, Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben von Menschen setzt – gleich welcher Religion und Herkunft«.
Bevor mit dem Bau des Hauses begonnen werden kann, muss allerdings noch die Finanzierung gesichert werden – eine weitere Hürde. Doch die Initiatoren sind zuversichtlich. »Das wird klappen«, sagt Hoensbroech. »Wir haben von privaten Spendern eine Reihe von positiven Signalen erhalten.« Zudem stehe man in Gesprächen mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, dessen Kulturstaatssekretär sowie dem Landschaftsverband Rheinland. »Die öffentliche Hand wird zwar nicht den Löwenan- teil der Finanzierung leisten, ist aber bereit, etwas draufzusatteln«, sagt Rogasch. Auch Oberbürgermeister Schramma ist optimistisch. Die Finanzierung des Vorhabens »an einem historischen Platz, wie es ihn in dieser Konstellation nördlich der Alpen kein zweites Mal gibt«, sei »eine schwierige Aufgabe, aber eine lösbare«.
Sollte sie gelingen, stehen die Chancen gut, dass Wilfried Rogasch mit seiner Prophezeiung recht behält: »Es wird etwas Einzigartiges entstehen, etwas, für das man uns international beneiden wird.« Dafür hätte sich der Hürdenlauf gelohnt.