von Miryam Gümbel
»Die Visitenkarten können weg«, sagt Charlotte Knobloch und lacht. »Die Adresse stimmt jetzt nicht mehr.« In Jeans und bequemem Pulli, kaum geschminkt, sitzt sie in ihrem Arbeitszimmer in der Reichenbachstraße. Mehr als 20 Jahre hat sie hier viele Tage und halbe Nächte verbracht, seit sie 1985 Hans Lamm sel. A. im Präsidentenamt der Israelitischen Kultusgemeinde München nachfolgte. In dieser Zeit konnte sie ihren großen Traum vom Jüdischen Zentrum am Jakobsplatz verwirklichen. Dort wird sie in den nächsten Tagen ihr neues Büro beziehen.
Zuvor allerdings heißt es erst einmal, die Vorbereitungen zu treffen. Natürlich muss sie nicht selbst die Kartons packen. Aber was rein kommt, das muss sie schon selbst entscheiden. Da geht es ihr nicht anders als jedem, der umzieht. Ihre zwischenzeitlich hohen Funktionen sind nur durch die Anwesenheit der Sicherheitsleute zu bemerken.
Ein Regal nach dem anderen sieht Charlotte Knobloch durch, eine Schublade nach der anderen. Blaue Müllsäcke liegen am Boden. »Fünf davon sind schon weg«, sagt sie an diesem Sonntagnachmittag. Die Zeit ohne Termine und ohne Anrufe nutzt sie intensiv. Seit Tagen und Wochen hat sie immer wieder stückweise all das sortiert, was sich im Lauf der Zeit angesammelt hat.
Ein Riesenstoß mit Papieren liegt sorgfältig gestapelt an der Wand gegenüber ihrem großen Schreibtisch. »Das kommt alles zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit«, sagt die Präsidentin. Auch für die Bibliothek liegt schon einiges griffbereit.
Ein altes Programm des Jugend- und Kulturzentrums fällt ihr in die Hände. Sie blättert es noch einmal durch, leise, als würden gerade Bilder von Veranstaltungen vor ihrem inneren Auge ablaufen. Das Programm kommt nicht in den blauen Sack. »Das gebe ich Ellen Presser für ihr Archiv«, meint sie, noch ganz in Gedanken. Einer alten Satzung ergeht es nicht so gut. »Diese Unterlagen sind alle in der Verwaltung archiviert.« Sagt’s – und wirft die Papierbögen zum Altpapier. »Man kann nicht alles aufheben.«
Was hat Charlotte Knobloch beim Stöbern in der Vergangenheit am meisten beeindruckt? Den Superlativ schlechthin gibt es da nicht. Da sind viele Unterlagen, die den langen Weg zum Jakobsplatz wieder wachrufen. Es sind Briefe und Protokolle, von Ministerpräsident Edmund Stoiber, von Oberbürgermeister Christian Ude. Da sind Fotos, auch von ihrer Ernennung zur Ehrenbürgerin der Stadt.
Sie erinnert sich an ihre Wahl zur IKG-Präsidentin 1985. Auf einem Foto gratuliert ihr Benjamin Kaiser sel. A. Und sie erzählt von Lorenz Cederbaum sel. A., der sie in vielen Telefonaten zur Amtsannahme zu überzeugen versuchte, bis sie schließlich von Vorstandsmitglied Abrascha Frydman sel. A. offiziell vorgeschlagen wurde.
»Die größte Überraschung beim Aufräumen war es für mich«, erzählt die Präsidentin, »als ich das Protokoll einer Wahl zum Vorstand in der Hand hatte, das meinen Vater als Präsidenten bestätigte. Das hat mich sehr tief berührt, besonders, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese Unterlagen noch vorhanden waren. Das war das älteste Dokument, das ich noch gefunden habe, aus den 60er Jahren. Das kommt in das Archiv der Gemeinde.«
Dass aus dieser Zeit keine Unterlagen mehr vorhanden sind, geht auf den Brandanschlag zurück, bei dem 1970 sieben Menschen in der Reichenbachstraße 27 den Tod gefunden haben.
Charlotte Knoblochs altes Arbeitszimmer ist deshalb auch nicht jenes, in dem ihr Vater Fritz Neuland sel. A. die Gemeinde führte. Die Einrichtung stammt von ihrem Vorgänger Hans Lamm sel. A. und hat bereits Interessenten gefunden. Knoblochs künftiges Arbeitszimmer ist in hellen Farben gehalten, wie das gesamte Gemeindezentrum. Einbauschränke werden Platz für vieles bieten, was Charlotte Knobloch mitnimmt.
Außer zahlreichen Unterlagen sind es auch einige persönliche Gegenstände, die dicht gedrängt auf einem kleinen Regal liegen: Ein Modell der Synagoge, eines vom Grundstein; verschiedene persönliche Geschenke von kleinen Keramikgefäßen bis zur Schreibtischgarnitur.
Auch zwei Orchideenpflanzen stehen da, ohne Knospen. »Die will ich wieder zum Blühen bringen«, sagt Charlotte Knobloch. »Einmal hatte ich da schon Erfolg. Das ist eine besonders schöne Art von Orchideen, die beflügeln mich immer«, sagt die Blumen- und Naturfreundin leise. Bekommen hat sie die Pflanzen als Geschenk anlässlich ihrer Ernennung zur Ehrenbürgerin.
Ein Stück, das scheinbar so gar nicht mehr in die Moderne passt, zieht ebenfalls mit um: eine alte Schreibmaschine. Sie ist das persönliche Eigentum der Präsidentin und hat sie immer begleitet. »Ich habe viel darauf geschrieben, auch in der Kanzlei meines Vaters. Es ist das älteste Erinnerungsstück, das ich hier stehen habe.«
Natürlich arbeitet Charlotte Knobloch heute am Computer. Der moderne Glastisch kommt ebenfalls mit an den Jakobsplatz. Ebenso das Mousepad mit dem Fotoaufdruck der Präsidentin und ihrer Mit- arbeiter, das ihr diese einmal geschenkt haben.
Mit umziehen wird auch eine schöne alte Chanukkia. Wem sie einmal gehört hat, weiß niemand. Aber immerhin hat sie den Weg zurück in die jüdische Gemeinde gefunden.
Charlotte Knobloch setzt sich wieder an den Schreibtisch. Ein Comic taucht auf: Asterix auf Bairisch. Sie liest ein paar Zeilen vor – als gebürtige Münchnerin beherrscht sie diese Sprache sehr gut.
Es ist 18 Uhr. Die Sicherheitsbeamten erinnern an die Zeit. Ein paar Stunden braucht Charlotte Knobloch noch zum Sichten. Dann können die Möbelpacker kommen. Jetzt aber heißt es schnell noch nach Hause fahren, umziehen, dann geht es weiter zum Flughafen. Um 21 Uhr startet die Maschine nach Berlin. Schließlich ist Charlotte Knobloch auch noch Präsidentin des Zentralrates.