von Tobias Kaufmann
»Als wir hier anfingen, hat man uns ausgelacht«, sagt Galit Chait. Für Leistungssportler, die normalerweise der Stolz ihres Landes sind, mag Spott eine ungewöhnliche Erfahrung sein – Chait hat vermutlich damit gerechnet. Die 30jährige ist Eistänzerin und wird gemeinsam mit ihrem Partner Sergej Sachnowski bei den Olympischen Winterspielen in Turin antreten. Für Israel. Spätestens seit das Paar 2002 die Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft errang, ist auch im jüdischen Staat die anfängliche Skepsis gewichen. Chait und Sachnowski gehören zum erweiterten Favoritenkreis in ihrer Disziplin und sind die einzige ernsthafte Medaillenhoffnung der winzigen israelischen Delegation. Zu ihr gehören außerdem das Eiskunstlaufpaar Alexandra und Roman Za- retzki und der Skiläufer Michael Rensin.
Wie die Zaretzkis haben die beiden Eistänzer sowjetische Wurzeln. Chait wurde als Tochter moldawischer Eltern in Kfar Saba geboren. Kurz darauf wanderte die Familie in die USA aus. Mit acht Jahren kam Chait in New York zum Eiskunstlauf. Sachnowski betrat das Eis schon mit vier Jahren. Seine – nichtjüdische – Mutter hatte ihn dazu gedrängt. Mit acht Jahren wechselte er zum Eistanz, der sich vom Kunstlauf dadurch unterscheidet, daß schwere Sprünge und Hebefiguren nicht erlaubt sind. »Das Eis ist eine Bühne. Du mußt wie ein Schauspieler agieren«, sagt Sachnowski über seine Disziplin. Seit Mitte der Neunziger bildet er mit Chait ein sportliches Paar – pri- vat haben sie andere Partner. Obwohl beide in den USA leben, sagt Galits Vater, Boris Chait, nebenbei Chef der israelischen Eiskunstlauf-Föderation: »Die beiden gehören zu den wichtigsten Botschaftern unseres Landes in der Welt.« Nach den Spielen wollen Chait und Sachnowski ihre aktive Laufbahn beenden und im nordisraelischen Metulla in der Jugendförderung arbeiten. »Heute kennt uns jeder in Israel«, sagt Galit Chait. Eine Übertreibung? Sicher. Zumindest bis zu einer Medaille in Turin.
Über fehlende Akzeptanz oder Prominenz kann Sasha Cohen nicht klagen. Die 21jährige Kalifornierin soll das amerikanische Gold im Eiskunstlauf verteidigen, nachdem die Siegerin von Salt Lake City 2002, Sarah Hughes, sich nicht qualifiziert hat. Dafür wäre fast ihre kleine Schwester Emily dabeigewesen, die bei den US-Meisterschaften im Januar Dritte wurde. Doch statt Hughes wurde die bei den Vorausscheidungen verletzte Eiskunstlauf-Diva Michelle Kwan vom olympischen Komitee ihres Landes nominiert. »Ich muß die Dinge so akzeptieren wie sie kommen. Jetzt werde ich daheim weiter hart trainieren«, sagt Hughes.
Sasha Cohen legt wie viele jüdische Sportler in den USA wenig Wert auf ihr Judentum. Ihre Eltern, Galina und Roger Cohen, sind Mitglieder einer Reformgemeinde. Ihre Schwester Natasha besucht eine jüdische Schule. Aber Batmizwa ist Sasha nie geworden, und auf ihrer Homepage gibt es auf irgendwelche religiösen oder kulturell-jüdischen Vorlieben keinerlei Hinweise. Den Davidstern, den die Eiskunstläuferin um den Hals trägt, nennt sie ihren »Glücksstern«.
Auch aus dem Hause Hughes waren lange keine »jüdischen« Details bekannt. Als Sarah 2002 die erste jüdische Eiskunstlauf-Olympiasiegerin wurde, bekamen es die jüdischen Medien in den USA, zu deren selbstverständlichem Service es vor großen Sportereignissen gehört, möglichst alle beteiligten Juden aufzuzählen, zunächst gar nicht mit. Denn in ihrem Pressematerial hatte die Sportlerin Weihnachten als die schönste Zeit des Jahres angegeben. Auch Fotos der Familie vor einem Weihnachtsbaum gab es. »Die Gefahr beim Aufzählen von Juden ist immer, daß einem jemand entgeht. Und in diesem Fall ist uns jemand ganz Großes entgangen«, sagte Lisa Holstein, Redakteurin der Jewish Telegraph Agency (JTA) damals dem »Forward«. In Zeiten gemischter Ehen und der Säkularisierung ist es für die Redaktionen schwer, herauszufinden, wer jüdisch ist. »Es ist eine Herausforderung. Wir alle lieben es, Juden aufzuzählen, aber wir wissen nicht immer, wie wir sie finden.«
Im Falle Hughes waren die »Schnüffler« der Internetseiten schneller, die Biographien jüdischer Sportler auflisten. Ephraim Moxson von dem in Los Angeles beheimateten Newsletter »Jewish Sports Re- view« erzählt: »Sarahs Mutter sagte mir am Telefon, die Familie praktiziere keine Religion, neige aber zum Judentum.« Für die Kriterien der Internetseite reichte der Hinweis aus. Sie nennt alle Sportler, die mindestens ein jüdisches Elternteil haben und einverstanden sind, als jüdisch identifiziert zu werden. Erst nach den Spielen gingen die größeren jüdischen Zeitungen der Geschichte nach. Inzwischen gilt als gesichert, daß Sarah Hughes eine jüdische Mutter und eine jüdische Großmutter hat, die stolz darauf sind, daß Sarahs ältere Brüder Barmizwa gefeiert haben.
Mit der Goldmedaille in Turin würde sich Sasha Cohen also auch den Titel der jüdischen Eisprinzessin sichern, den Hughes bisher trägt. Doch es gibt harte Konkurrenz. Die russische Altmeisterin Irina Slutskaja will sich von ihren letzten olympischen Spielen mit Gold verabschieden, nachdem sie vor vier Jahren die Silbermedaille gewann. Allerdings ist nicht sicher, ob Slutskaja überhaupt eine jüdische Eisprinzessin sein möchte. Mit Entsetzen sahen die Redakteure bei JTA, die Slutskaja als jüdische Medaillenhoffnung porträtiert hatten, daß die Sportlerin sich vor jedem Auftritt bekreuzigt. Moxson behält sie trotzdem in seiner Liste. »Die Russen sind ein Sonderfall. Slutskaja praktiziert keine Religion. Aber sie besucht ihre Verwandten in Israel, trägt ab und zu einen Davidstern. Und ihr Agent versichert, daß sie nach allen Regeln und Bestimmungen jüdisch ist.«
Solche Schwierigkeiten bereitet Mathieu Schneider nicht. Der 36jährige US-Nationalspieler gehört zu den stärksten Verteidigern im amerikanischen Eishockey. Sein Vater nennt ihn den »ewigen Juden«, weil Schneider seit 17 Jahren unermüdlich durch die nordamerikanische Profiliga NHL wandert und in dieser Zeit für sieben verschiedene Klubs spielte. »Ich hatte in meiner Karriere das Glück, in Städten zu arbeiten, in denen es großartige jüdische Gemeinschaften gibt«, sagt der 36jährige. »Ich hatte jeweils das Gefühl, eine Vorbildfunktion einnehmen zu müssen, weil es nicht so viele jüdische Eishockeystars gibt. Ich habe diese Rolle immer sehr genossen.« Schneider hat drei Kinder, ein viertes ist unterwegs. Er legt Wert darauf, daß sie jüdisch erzogen werden. »In unserer Zeit ist es wichtig, Kindern diese Form der Leitung zu geben«, sagt der treffsichere Verteidiger, der mehr als 1.000 Spiele in der NHL absolviert hat. »Wenn man älter wird und Familie hat, wird Religion wichtiger«, sagt der gebürtige New Yorker. Da Jom Kippur in der Regel in die Saisonpause fällt, kann es sich Schneider leisten, am höchsten jüdischen Feiertag zu fasten.
Der Profi der Detroit Red Wings ist ein sogenannte Blueliner – ein Verteidiger, der vor allem im Überzahlspiel an der blauen Linie steht, die das gegnerische Drittel begrenzt, und von dort aus den Puck verteilt oder selbst zum Abschluß kommt. Für seine Schüsse aus dieser Position ist Schneider bekannt. In Turin wird er zum zweiten Mal bei einer Olympiade die Schlittschuhe schnüren. Das US-Team gilt neben den favorisierten europäischen Teams aus Rußland, Tschechien, Finnland und Schweden sowie den Kanadiern als Geheimtip beim Kampf um olympisches Gold. Für Schneider wäre es der internationale Höhepunkt seiner Karriere, die sich langsam dem Ende neigt.
Anders als im europäischen Sport, vor allem im Fußball, stellte Antisemitismus für den Eishockeyprofi nie ein Problem dar. Nur in einem einzigen Spiel wurde er in seiner langen Karriere als Profi von einem Gegenspieler wegen seines Glaubens beleidigt. »Ich habe mir den Spruch gemerkt und mir vorgenommen, den Kerl bei der nächsten Gelegenheit in die Bande zu rammen«, erzählt Schneider. »Und das habe ich auch gemacht.« Die Gegner in Turin sollten es sich merken. (mit jta)