von Esteban Engel
Seit acht Jahren ist W. Michael Blumenthal Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Ein hartnäckiges Mißverständnis muß er aber immer noch korrigieren. »Amerikanische Freunde sagen oft zu mir, sie wollen in Berlin gerne ›mein Holocaust-Museum’ besuchen. Und immer muß ich klarstellen: Es ist kein Holocaust-Museum, es ist ein Museum zur deutschen Geschichte.«
Für den früheren amerikanischen Finanzminister, der am Dienstag dieser Woche 80 Jahre alt wurde, erzählt das Museum auch einen Teil seiner eigenen 300 Jahre alten Familiengeschichte. Blumenthals Urgroßvater saß der Synagogengemeinde in Oranienburg vor, zu seinen Vorfahren zählen die Schriftstellerin Rahel Varnhagen und der Komponist Giacomo Meyerbeer. In seinem 1999 bei Hanser erschienenen Buch Die unsichtbare Mauer, in dem er der Spur seiner Familie bis in das frühe 17. Jahrhundert folgt, hat Blumenthal das Panorama einer reichen deutsch-jüdischen Kultur gezeichnet. Es ist aber auch die Geschichte einer unerwiderten Liebe, bei der alle Assimilationsbestrebungen der Juden am Antisemitismus der Deutschen scheiterten und schließlich zunichte gemacht wurden.
Blumenthals Vater, als Soldat im Ersten Weltkrieg dekoriert und im Berlin der Weimarer Republik ein angesehener Unternehmer, wurde von den Nazis enteignet und nach der Pogromnacht 1939 zwei Monate im KZ Buchenwald inhaftiert und mißhandelt. 1939 gelang der Familie die Flucht nach Schanghai, wo sie in einem Ghetto für jüdische Flüchtlinge interniert wurde, bevor sie 1947 in die USA einreisen konnte. Dort machte der junge Blumenthal Karriere. Nach dem Studium in Princeton ging er in die Industrie und machte als Manager ein Vermögen. 1961 ernannte ihn Präsident John F. Kennedy zum Wirtschaftsexperten im State Department, später wurde er stellvertretender Sonderbotschafter für Handelsfragen. 1976 berief ihn Präsident Jimmy Carter zum Finanzminister.
Lange Zeit hatte W. Michael Blumenthal ein gespaltenes Verhältnis zu Deutschland. Seine Haltung änderte sich, als er 1998 zum Museumsdirektor in Berlin ernannt wurde und in das Land seiner Vorfahren zurückkehrte. Unter seiner Ägide wurde das Haus zu einem der erfolgreichsten Museen in Deutschland. Jährlich 700.000 Besuchern erkunden den verwinkelten Bau des Architekten Daniel Libeskind in Berlin-Kreuzberg – von archäologischen Resten des ersten jüdischen Lebens in Deutschland bis zu den Berliner Juden als Wegbereiter der Moderne. »Das Museum zeigt, wie fest jüdische Bürger im deutschen Leben integriert waren, was sie dabei leisteten und wie sich ihr Gemeindeleben abspielte«, sagt Blumenthal.
Jedes Jahr vergibt das Museum auch einen eigenen Preis »für Verständigung und Toleranz«, zuletzt im Dezember 2005 an den Kunstsammler Heinz Berggruen und an Otto Graf Lambsdorff. Zu diesem Anlaß versammelt Blumenthal nach amerikanischen Vorbild jedes Jahr die Gönner und Unterstützer des Museums. Die Gala mit Spitzen aus Wirtschaft, Kultur und Politik gehört mittlerweile zu den wichtigen Gesellschaftsereignissen der Hauptstadt.
Einen Traum will sich Blumenthal in den kommenden Monaten noch erfüllen: Zur Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland seiner amerikanischen Nationalelf im Berliner Olympiastadion zujubeln.