von Wladimir Struminski
Nach drei Wochen des Anti-Hisbollah-Krieges muß Israel eine ernüchternde Zwischenbilanz ziehen. Hassan Nasrallahs Truppen verfügen noch immer über neuntausend bis zehntausend Raketen und machen von ihnen kräftig Gebrauch. Die Verluste der Hisbollah sind nach israelischen Schätzungen mit rund zweihundert Mann zwar viel höher als von der Miliz selbst zugegeben. Von einer Zerschlagung der Organisation kann jedoch keine Rede sein. Diese Situation ist nicht zuletzt eine Folge der vorsichtigen israelischen Kriegführung. Um eigene Verluste zu minimieren, hat sich Israel vor allem auf eine Kampagne aus der Luft verlassen. Die Boden-
operationen im Libanon haben sich auf unmittelbare Grenznähe beschränkt. Erst jetzt plant Israel eine größere Offensive. Allerdings will sich die Armee für die neue Kriegsphase mehrere Wochen nehmen.
Dabei wird der internationale Ruf nach einem sofortigen Waffenstillstand immer lauter. Die UNO arbeitet an einer Resolution des Weltsicherheitsrates, die Israel zur Einstellung seiner Angriffe zwingen soll. Der internationale Druck nahm seit dem tödlichen Einsturz eines Wohnhauses im südlibanesischen Kfar Kana noch erheblich zu. Bei dem Vorfall hatte die israelische Luftwaffe Raketenstellungen angegriffen, die von der Hisbollah in unmit-
telbarer Nähe von Behausungen aufgestellt worden waren. Dabei wurde auch ein Haus getroffen, das sieben Stunden später einstürzte und 57 Menschen, vor allem Kinder, tötete. Die Tatsache, daß die Bewohner in den kritischen Stunden nicht evakuiert wurden, ja die Möglichkeit, daß der Einsturz letztendlich durch eine Explosion von Hisbollah-Munition herbeigeführt wurde, vermochte die scharfe internationale Verurteilung Israels nicht zu beeinflussen. Damit ging die Strategie der schiitischen Miliz, sich durch den Einsatz menschlicher Schutzschilde Vorteile auf dem Gefechtsfeld zu verschaffen, in militärischer Hinsicht voll auf.
Nun, da die Sympathie der Völkergemeinschaft dahin ist, hofft Israel auf deren Unvermögen. Nach Überzeugung der israelischen Führung wird die vorgesehene Schaffung einer kampfstarken internationalen Truppe, die die anhaltende Entwaffnung der Hisbollah sicherstellen soll, noch Wochen dauern. Wie groß die Anlaufschwierigkeiten der Friedenssicherer sind, zeigte sich Anfang dieser Woche: Wegen Unstimmigkeiten und unklarer Ausgangssituation mußte UNO-Generalsekretär Kofi Annan die ersten Beratungen über den internationalen Kampfverband auf unbestimmte Zeit verschieben. Allerdings bedeutet es nicht, daß Israel seine Kampagne in aller Ruhe vorantreiben kann. Entgegen der israelischen Position lehnt der Großteil der Weltöffentlichkeit das von Israel postulierte Junktim zwischen der Einstellung israelischer Kampfhandlungen auf der einen und der Ankunft der Welttruppe auf der anderen Seite nämlich ab. Nach Vorstellungen der meisten Staaten müsse die Waffenruhe den politischen Verhandlungen über eine dauerhafte Regelung vorausgehen. Selbst US-Außenministerin Condoleezza Rice deutete am Montag an, die Regierung Bush wünsche einen Waffenstillstand bis Ende dieser Woche. Mit solchen Tönen versuchen die USA, den enormen internationalen Druck zu mildern, unter den sie wegen ihrer proisraelischen Politik geraten sind. Nach Meinung israelischer Kommentatoren ist der von der internationalen Politik erzwungene Waffenstillstand denn auch nicht erst in Wochen, sondern binnen weniger Tage zu erwarten.
Für Israel wäre das ein Alptraum. Ohne handfeste Erfolge im Libanon, warnte die liberale Tageszeitung Haaretz, würde Israel eine schmerzhafte Niederlage erleiden. Das aber drohe die Extremisten in der arabischen Welt zu ermutigen. Im Libanon, warnte auch der Militärkommentator Ron Ben-Yishai, werde ein zukunftsbestimmender Kampf zwischen dem radikalen Islam und den gemäßigten Kräften des Nahen Ostens ausgetragen. Wenn die Hisbollah die Oberhand behalte, würden sich Dschihad-Krieger in der ganzen Region die Taktik der Nasrallah-Miliz zu eigen machen. Dann aber werde normales Leben in Israel nicht mehr möglich sein. Eines steht jetzt wohl schon fest: Nach Ende der Kämpfe im Libanon müssen sich Premier Olmert und sein Verteidigungsminister, Amir Peretz, auf einen innenpolitischen Sturm gefaßt machen, schlimmstenfalls sogar auf den Amtsverlust.