von Wladimir Struminski
Jair und Liat (Namen geändert) heiraten im »Abu-Gosch-Hain«. Der malerische, von Moslems und Juden gemeinsam geführte, koschere Festsaal steht am Rande des arabischen Dorfes Abu Gosch. Um den Traubaldachin ranken sich Granatbäume und Weinreben. Die Hochzeit findet nach allen Regeln jüdischer Tradition statt. Dann aber gibt auch Liat Jair einen Ring. Wie das? Nach der Halacha ist ein Ringaustausch nicht zulässig: Wenn der Bräutigam seiner Braut einen Ring an den Finger steckt, »kauft« er sie. Nicht aber umgekehrt. Dennoch: Unter der Chuppa geht es weiterhin halachisch zu. »Liat wird Jair jetzt ein Ge-
schenk übergeben«, verkündet Rabbiner Mosche Beeri. Eine Beschenkung des Gemahls durch die Gemahlin, und das ist die strahlende junge Frau seit einigen Minuten, untersagt die Halacha nämlich nicht. Auch dann nicht, wenn es sich bei dem Präsent um einen Ring handelt. Deshalb spricht Liat nicht etwa die Eheschließungsformel »Mit diesem Ring bist du mir angetraut«, sondern sagt zu Jair: »Leg mich wie ein Siegel an dein Herz«.
Der kleine Kunstgriff ist typisch für Rabbiner von Tzohar, einer Rabbinervereinigung, der auch Beeri angehört, und die weltlichen Juden jüdische Werte ohne den erhobenen Zeigefinger vermitteln will. Bereits der Name ist Programm: Tzohar ist ein hebräisches Wort für »Fenster«, ein Einblick ins Judentum.
Über fünfhundert modernorthodoxe Rabbiner und knapp einhundert Freiwillige ohne Rabbinerdiplom wirken am Dialog mit der nichtreligiösen Umwelt mit. Tzohar-Rabbiner nehmen Trauungen vor, führen Seminare durch, helfen Trauernden und beantworten halachische Fragen. Ein besonderes Projekt sind gemeinsame Jom-Kippur-Gottesdienste für Religiöse und Säkulare. Die Rabbiner und Aktivis-ten sind, sieht man von einer kleinen Zahl besoldeter Mitarbeiter ab, ehrenamtlich im Einsatz.
Ein Schlüssel des Dialogs ist die Suche nach dem gemeinsamen Nenner. »Wenn einer unserer Rabbiner eine Hochzeit vorbereitet«, erklärt Beeri, jahrelang als Freiwilliger tätig und seit einem Monat Generaldirektor der Organisation, »spricht er mit dem jungen Paar nicht nur über die religiösen Regeln, sondern betont auch die Bedeutung der Familie als Baustein des jüdischen Volkes.« Die Betreuung erfolgt auf Augenhöhe. Bei Eheschließungen lernen die Rabbiner das Brautpaar lange vor der Trauung kennen und begleiten es durch alle Phasen des Vorbereitungsprozesses. Für die Jom-Kippur-Gottesdienste hat Tzohar ein eigenes Gebetbuch mit ausführlichen Erklärungen veröffentlicht. Während des Gottesdienstes macht der Rabbiner immer wieder Halt und erklärt, welche Stelle gerade erreicht worden ist. »Damit«, so der Tel Aviver Rabbiner Roni Ayalon-Hirsch, »werden Besucher, die mit dem Gebet weniger vertraut sind, nicht gleich am Anfang abgehängt.« Für den bevorstehenden Versöhnungstag erwartet Ayalon-Hirsch zu Kol Nidrei und Neila rund einhundert säkulare Teilnehmer und zehn Jeschiwastudenten. Den Gottesdienst wird der Rabbiner bereits zum vierten Mal leiten.
Ausgangspunkt der Vereinigung Tzohar, einer der größten Rabbinerorganisationen des Landes, war die Ermordung von Ministerpräsident Jitzchak Rabin durch den religiösen Studenten Jigal Amir im Jahre 1995. »Als Träger einer Kippa empfand ich Scham«, erinnert sich Beeri. »In jenen Tagen war die Religion in Augen weltlicher Juden gleichbedeutend mit Mord.« Um gegen diese verzerrte Wahrnehmung anzukämpfen, riefen fünf Rabbiner Tzohar ins Leben. Die ersten Jahre brachte die unorthodox-orthodoxe Organisation großenteils mit dem Kampf ums Überleben und um Anerkennung zu. Inzwischen aber ist Tzohar im Bewusstsein weltlicher Juden und vor allem auch der Medien eine feste Größe. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass Tzohar-Rabbiner zu aktuellen Fragen interviewt werden. Selbst Politiker schätzen ihren Rat. Vor der Räumung des Gasastreifens beriet sich Ministerpräsident Ariel Scharon mit einer Gruppe von Tzohar-Rabbinern. Dabei ging es zwar nicht um das Rückzugsprinzip selbst – parteipolitischen Streitfragen geht die Organisation aus dem Wege – wohl aber um Möglichkeiten, den durch den Rückzugsbeschluss entfachten Bruderzwist einzudämmen. Ob das letzt-endlich gelang, mag umstritten sein. Auf jeden Fall aber wird Tzohar in säkularen Kreisen als ein zuverlässiger Dialogpartner geschätzt.
Im offiziellen religiösen Establishment hat die Organisation nicht nur Freunde. Das staatliche Oberrabbinat rügt, Tzohar wolle den Dialog zwischen Religiösen und Säkularen monopolisieren. Ihrerseits hält die Organisation dem Rabbinat vor, die Durchführung von Trauungen durch ihre Mitglieder systematisch einzuschränken. Nach Vorschriften des Rabbinats dürfen nämlich nur Amtsrabbiner von Städten oder Wohnvierteln Eheschließungen vornehmen. Auf diesen Posten aber sind Tzohar-Rabbiner rar. Den Diskriminierungsvorwurf weist das Rabbinat weit von sich; Jaakow Lisner, Koordinator des Rabbinatsausschusses für Fragen der Eheschließung wirft der Organisation in diesem Zusammenhang Irreführung der Öffentlichkeit vor. Tatsache bleibt aber, dass nur etwa zwei Dutzend der mehr als 500 Tzohar-Rabbiner die amtliche Traulizenz besitzen. Bei den Ultraorthodoxen wiederum, die eine möglichst dichte Abschottung gegen äußere Einflüsse suchen, stößt Tzohar auf totale Ablehnung. »Auch wenn wir dieselbe Tora studieren und dieselben Mizwot einhalten, sind die Chancen, dass sie unsere Werte akzeptieren, gleich null«, meint resigniert Rabbiner Beeri. »Das schmerzt.«