von Heide Sobotka
Für einige ist es wie eine Reise in eine andere Welt. Dabei liegen zwischen Bremen und Oldenburg nur 44 Kilometer. Doch für viele Bremer ist es das erste Treffen mit der Oldenburger Gemeinde. Die Mitglieder des Bremer Frauenvereins bekommen große Augen in der Oldenburger Synagoge. »Wo sitzen die Frauen, wo die Männer. Rechts oder links von der Bima?« »Wir sitzen, wo wir wollen, bei uns nehmen die Frauen gleichberechtigt am Gottesdienst teil«, erklärt Sara-Ruth Schumann den Gästen von der Jüdischen Ge-
meinde Bremen. Das kennen die 30 Frauen aus der orthodox geprägten Gemeinde nicht und haken beim künftigen Oldenburger Rabbiner, Daniel Alter, noch einmal nach. Der verweist auf die Tafel mit vielen Schildchen. »Hier haben wir eine Übersicht, wer alles im Gottesdienst die Tora lesen oder vorbeten kann.« Auf ihnen stehen viele Frauennamen. Auf zehn, elf Personen können die Oldenburger bei ihren Schabbatfeiern bauen.
Ob denn Vorbeten eine Pflicht sei, will eine Bremerin wissen, und ob sich aus dieser Pflicht dann auch zwangsläufig ergibt, daß ein Gast vorlesen muß. »Wir zwingen doch niemanden«, beruhigt Alter. Sie könnten es jedoch, wenn sie es wollten. Einige verwirren diese Informationen, andere nehmen sie als Anregung mit nach Hause. Schließlich sind die Bremer nach Oldenburg gekommen, um eine andere Gemeinde kennenzulernen und Erfahrungen auszutauschen. Doch vergebens warten die Bremer Gäste auf weitere Oldenburger Gemeindemitglieder. Zu gern hät ten sie mehr von ihnen erfahren.
Nur fünf Bremer Frauen sprechen Deutsch, die anderen Russisch. Obwohl in Oldenburg zur Erleichterung der Integration grundsätzlich viel Deutsch gesprochen wird, macht die gebürtige St. Petersburgerin Galina Potemkina eine Ausnah- me und führt die Gäste russischsprechend durch die Oldenburger Innenstadt mit ihren kleinen exquisiten Geschäften. Vorbei an den historischen Gebäuden der einstigen Residenzstadt. Die Sozialarbeiterin erklärt, wie durch Heirat eine enge Beziehung zwischen Oldenburg und St. Petersburg entstand, und führt die Bremerinnen zum 1992 vom Oldenburger Künstler Udo Reimann am Standort der ehemaligen Synagoge entworfenen Mahnmal. Dort stehen die Frauen lange in der kalten Wintersonne und schauen auf die geschichteten Granitblöcke. 1938 wurde die Synagoge zerstört, zwei Jahre lang hatte hier ein junger Rabbiner amtiert, Leo Trepp. Heute lebt er über 90jährig in Amerika und Berlin. Renata Bas, Vorsitzende des Bremer Frauenvereins, kommt bei der Fülle der Information mit dem Übersetzen kaum nach.
Die Frauen drängt es bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und einer Stunde Fußmarsch ins Warme und zur leckeren Gemüsesuppe, die im Gemeindezentrum für sie bereitsteht. Doch die Bremer sind erst einmal vom Gemeindezentrum begeistert, gehen durch alle Räume, schauen sich die Mikwe an und wundern sich über eine Papiercollage in der Synagoge, ein Geschenk der Oldenburger Künstlerin Manon Hof.
Gila Trojman ist von dem milchigen Geschirr mit dem feinen blauen Rand begeistert. »Wir sollten auch endlich von unseren Plastiktellern wegkommen. Auf Por- zellan zu essen, macht doch viel mehr Appetit.« Damit ist auch Renata Bas einverstanden. Schließlich habe man doch in beiden Küchen Spülmaschinen.
Sara-Ruth Schumann warnt: »Vergeßt nicht, wir sind eine kleine Gemeinde von 330 Mitgliedern, da ist manches einfacher.« Die Bremer ist viermal so groß. Dennoch kann man doch über die eine oder andere Änderung nachdenken. Schließlich ist das ja Sinn und Zweck des Treffens. Sich kennenzulernen, voneinander zu profitieren und vielleicht zusammenzuarbeiten. »Warum sollte denn jede Gemeinde ihre eigenen Seminare abhalten? Ist es nicht effektiver und günstiger, sie gemeinsam zu organisieren«, dachte sich Gila Trojman vom Frauenverein und sprach Sara-Ruth Schumann bei einer Reise nach Berlin an. Das war im Dezember. Gesagt, getan. »Für ein Miteinander sind wir immer offen«, sagt Sara-Ruth Schumann.
Die Oldenburger Gemeinde praktiziert dies auf musikalischer Ebene schon länger und organisiert in diesem Jahr zum dritten Mal ein Chortreffen mehrerer Gemeinden in der Wilhelmstraße. Mit dabei sind Chöre aus Schwerin, Osnabrück, Delmenhorst und Bremen. Im Oktober soll das nächste stattfinden.
Nach Essen und Synagogenbesichtigung führt die Oldenburger Gemeindevorsitzende die Gäste ins Stadtmuseum. Hier steht ein Modell der 1938 zerstörten Synagoge. In den Ausstellungsräumen und der originalgetreu eingerichteten Ballin’schen Villa des Oldenburger Kaufmanns, können die Bremerinnen sehen, wie sich die Stadt vom historischen Aldenburg im 8. Jahrhundert zur Residenzstadt und bis heute entwickelte.
»Wir haben noch drei weitere Museen«, wirbt Sara-Ruth Schumann. »Also Grund genug wiederzukommen.« Einige Bremer erkundigen sich nach den Schabbatgottesdiensten. Der neue Rabbiner hat Eindruck auf sie gemacht. Nach dem Tod von Rabbiner Benjamin Barslai sind sie auf der Suche nach einem Nachfolger. Auch die Oldenburger ziehen Nutzen aus diesem Treffen. »Si-cher gründen wir auch bald einen Frauenverein. Unseren ersten Ausflug machen wir nach Bremen«, sagt Schumann. Weit ist es ja nicht in die Hansestadt, 44 Kilometer. »In Bremen werden Sie auch Augen machen«, versichert Renata Bas den Oldenburgern.