von Wladimir Struminski
89 Tage vor den Knessetwahlen geht es in den israelischen Parteizentralen hektisch zu. Obwohl über einen vorgezogenen Ur-
nengang schon länger spekuliert wurde, wird es jetzt ernst. Parteien und Politiker bringen sich in Position.
Den bisher spektakulärsten Coup hat Benjamin Netanjahu gelandet. Dem Likud-Vorsitzenden gelang es, zwei alte Rivalen, Benny Begin und Dan Meridor aus der politischen Versenkung zu holen und zur Rückkehr in die Reihen des Likud zu motivieren. Begin, Sohn des ehemaligen Premiers Menachem Begin, hat Netanjahus Regierung vor einem Jahrzehnt den Rücken gekehrt, als diese den Großteil Hebrons an die Palästinenser zurückgab. Nun soll der wegen seiner persönlichen Integrität auch von politischen Gegnern ge-
schätzte Begin junior dem Likud im Kampf um Knessetmandate den Rücken stärken. Die Versöhnung mit dem einstmals von ihm so verachteten Netanjahu begründete Begin mit dem Hinweis, Bibi sei reifer und er selbst älter geworden.
Auch Meridors Rückkehr war keine Selbstverständlichkeit: Er hat den Likud ebenfalls in den 90er-Jahren verlassen –allerdings nach links – und auch er hatte damals nicht viel Gutes über Netanjahu zu sagen. »Bibi ist ein Lügner und hat das Lü-
gen zu seiner Kunst gemacht«, giftete Me-
ridor. Jetzt bekundete der ehemalige Re-
bell: »Die Vergangenheit liegt hinter mir«, und pries Netanjahu als den besten möglichen Landesvater, den Israel heute haben könne. Ob solche Versöhnungsmanöver bei der Wählerschaft ziehen, muss sich zeigen.
Seinerseits setzt Netanjahu im Wahlkampf 2008 eher auf die »saubere« Ausstrahlung seiner Wahlhelfer als auf deren ideologische Orientierung. So hat er be-
reits im Sommer den ehemaligen Vizegeneralstabschef Usi Dajan für den Likud angeworben. Dajan, der sich einen Namen im Kampf gegen die Korruption gemacht hat, bescheinigte Netanjahu »ein ehrlicher Mensch« zu sein. Dafür war Netanjahu bereit, Dajan dessen Einsatz für einen weit reichenden einseitigen Rückzug Israels aus der West Bank zu vergeben.
Über einen Mangel an illustren Persönlichkeiten kann Kadima nicht klagen. Neben dem Ex-Chef des Inlandssicherheitsdienstes, Avi Dichter, zählen zu ihrer Ab-
geordnetenriege der Waffenentwicklungsexperte und General der Reserve, Jitzchak Ben-Israel, der Geschichtsprofessor Menachem Ben-Sasson, die Ex-Brigadegeneralin Amira Dotan und der aus der Ex-UdSSR immigrierte Wirtschaftsprofessor Micha-
el Nudelman. Allerdings hat Kadima es bisher nicht gelernt, wie eine echte Partei zu agieren. Zudem wurde ihr innerer Zu-
sammenhalt vor zwei Monaten auf die Probe gestellt: Im Kampf um den Parteivorsitz schlug Außenministerin Zipi Livni ihren Rivalen, Verkehrsminister Schaul Mofas mit geringem Vorsprung. Jetzt versuchen beide – die angeschlagene Livni und der verbitterte Mofas – die Partei we-
nigstens nicht im Vorfeld der Wahl auseinanderbrechen zu lassen. Im Gegenzug für Wahlkampfunterstützung sagte Livni Mo-
fas die Rolle der Nummer zwei in ihrer künftigen Regierung zu – so sie denn nach der Wahl eine bilden darf. Wie lange das Zweckbündnis der beiden über den Wahltag hinaus hält, ist offen.
Selbst um solche Probleme kann die Ar-
beitspartei Livni, Mofas & Co. nur be-
neiden. Der einstmals staatstragenden Po-
litformation droht nämlich ein verheerendes Wahldebakel. Den meisten Umfragen zufolge kommen die Genossen nur noch auf elf statt der bisherigen 19 Mandate. Optimisten sprechen von 16 Sitzen, doch wäre auch das nur ein blasser Widerschein alter Glorie: Auf dem Höhepunkt ihrer Ge-
schichte erhielt die Arbeiterbewegung vor vier Jahrzehnten 56 der 120 Knessetsitze. Seitdem geht es ständig abwärts. Mit der Persönlichkeit von Parteichef Ehud Barak allein, dem Genossen Abgehobenheit vorwerfen, ist die Misere nicht ausreichend erklärt. Vielmehr büßen David Ben-Gurions Enkel zunehmend ihre ideologische Anziehungskraft ein. Als Partei der sozial schwächeren Schichten haben sie längst ausgespielt. Die wählen mehrheitlich rechts. Jetzt wird auch der Mittelstand abtrünnig. Viele politisch gemäßigte, wirtschaftlich aber konservative Wähler laufen zu Kadima über. Diese Entwicklung wird Barak kaum mit Teamgeist und der Einbeziehung innerparteilicher Rivalen, wie etwa seines Vorgängers Amir Peretz, wirksam bekämpfen können. In den kommenden Jahren muss sich zeigen, ob das Zeit-alter der israelischen Sozialdemokratie zur Neige geht.
Für die traditionsreiche Nationalreligiöse Partei (NRP) ist es jetzt schon so weit. Im Vorfeld der Wahl hat die Partei die Fu-
sion mit drei weiteren Gruppierungen beschlossen, mit denen sie jetzt schon eine Gemeinschaftsfraktion bildet. Allen vier ist die ideologische Nähe zur Groß-Israel-Philosophie und zur Siedlerbewegung ge-
meinsam. Die neue Partei – der Name steht bisher nicht fest – wird nicht mehr ausschließlich unter dem religiösen Banner segeln; der gemeinsame Nenner ist rechte Gesinnung. Damit bleibt das Feld der religiösen Politik künftig den ultraorthodoxen Parteien überlassen. Darüber sind sogar überzeugte Laizisten betrübt, die trotz heftiger Kritik am Rechtskurs der NRP deren zionistische Werte geschätzt haben.
Ob die neue Partei ohne Namen, Likud, Kadima oder die Arbeitspartei das Rennen machen – am 10. Februar werden die Wähler darüber entscheiden.