Efraim Zuroff

Auf der Jagd

von Indra Kley

Mendele-Straße 1, direkt an der Ecke, hatte er gesagt. Doch an dem in einer ruhigen Sackgasse gelegenen Wohnhaus im Zentrum Jerusalems deutet nichts darauf hin, dass hier jemand tätig ist. Dass von hier aus der Mann operiert, den NS-Verbrecher in aller Welt fürchten. Den manche lieber tot als lebendig sehen würden. Und dessen Arbeit genauso von Menschen in aller Welt geschätzt wird.
Am Eingang weist ein großes Transparent auf das Ulpan, ein Sprachlern-Institut, im 3. Stock, hin. Erst im Treppenhaus wird das unscheinbare Messingschild an der Wand neben der Wohnungstür im Hochparterre sichtbar. »Simon Wiesenthal Center« steht dort auf Englisch, »Merkaz Schimon Wiesenthal« auf Hebräisch. Es ist das Büro von Doktor Efraim Zuroff, 63 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges einer der letzten Nazijäger unserer Zeit.
»Guten Tag«, sagt Zuroff mit heiserer Stimme auf Deutsch, als er die Tür öffnet. Und fährt dann auf Englisch, der Muttersprache des gebürtigen New Yorkers, fort. »Setzen Sie sich ruhig schon hin, ich muss mir noch schnell einen Tee kochen. Dieser Husten ...«, krächzt er und verschwindet in der kleinen Küche. Es ist ein ganz normales Appartement, das sich hinter der braunen Holztür verbirgt. Vier Zimmer, davon drei bis unter die Decke mit Aktenordnern gefüllt, dunkle, funktionale Holzmöbel, ein grauer, kratziger Teppich. Ein bisschen so, als sei die Zeit in den 80er-Jahren stehen geblieben. Damals, als Efraim Zuroff zum Repräsentanten des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem wurde.
Mit einem Pfefferminztee und dem Jahresbericht über die weltweite Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern 2007 kommt Zuroff in sein Büro zurück. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, den aktuellen Report zu schreiben«, entschuldigt er sich. Zu viel habe es in den vergangenen Monaten zu tun gegeben. Zum Beispiel im Fall der Österreicherin Erna Wallisch, die als Aufseherin im Konzentrationslager Majdanek an der Selektion und Ermordung von KZ-Insassen beteiligt gewesen sein soll. »Obwohl die Beweislage klar war, haben die Österreicher zunächst nur von einer passiven Mittäterschaft im Völkermord gesprochen«, erzählt der promovierte Historiker. Es gelang ihm jedoch, in Polen fünf Zeugen ausfindig zu machen, die bereit waren, gegen Wallisch auszusagen. Der Fall wurde neu aufgerollt. Doch im Februar starb die 86-Jährige – vor dem Prozessbeginn. Aufgrund des hohen Alters der Gesuchten kommt es häufiger vor, dass sie sich nicht mehr vor einem weltlichen Gericht verantworten müssen. Für Zuroff ist das immer sehr ärgerlich. »Kennen Sie arabische Flüche? Wenn einer von denen stirbt, bevor er vor den Richtern steht, dann schimpfe ich auf Arabisch. Die haben die besten Schimpfwörter.«
Fast sein halbes Leben hat der 60-Jährige mit der Jagd von NS-Kriegsverbrechern zugebracht. »Ich habe rund 3.000 Verdächtige in 22 Ländern ausfindig gemacht. Circa ein Prozent der Fälle sind ernsthaft untersucht worden.« Dass ausgerechnet er Nazijäger wurde – ein Zufall. »1978 fingen sie in Amerika an, die Täter von einst zu verfolgen«, erinnert sich Zuroff. Er, der mit 23 Jahren nach Israel ausgewandert war, recherchierte zu der Zeit für seine Doktorarbeit in den USA. »Und da kam alles zusammen: Ich traf Simon Wiesenthal. Und ich hatte den richtigen Bildungs- und Aktivistenhintergrund. Ich war einfach der richtige Mann zur richtigen Zeit.« Sechs Jahre lang arbeitete er in Israel für das amerikanische Office of Special Investigation, das Naziverbrecher aufspürt. Danach übernahm er die Leitung des Wiesenthal Centers in Jerusalem. »Ich selbst hatte lediglich einen Großonkel in Litauen, der während der Schoa getötet wurde«, sagt er und hustet dabei so heftig, dass seine gestrickte Kippa auf dem grauen Haar verrutscht. »Aber das interessierte in unserer Familie niemanden. Viel wichtiger war, dass er ein großer Talmud-Gelehrter gewesen ist.« Zuroffs Traum war es immer, als erster orthodoxer Jude in der NBA, der amerikanischen Basketball-Profiliga, zu spielen. Ein kleiner Basketballkorb neben seinem Schreibtisch deutet noch immer auf diese Leidenschaft hin.
Für seine Arbeit wird Efraim Zuroff viel Respekt gezollt. Aber es gibt auch viel Kritik. Und mehr als das. »Natürlich erhalte ich Drohungen von Rechtsradikalen, doch ernst nehme ich die nicht.« An der Wand über seinem Schreibtisch zeugen etliche Bilder von seiner Karriere als Nazijäger. Zuroff an der Gedenkstätte in Wilna, Zuroff mit dem litauischen Präsidenten. Aber auch Zuroff, wie er vor einem Plakat steht, das für einen seiner Vorträge in Karlsruhe wirbt. »Da hat einer ›Linksfaschist‹ unter meinen Namen geschrieben, das fand ich so lustig.« Aufbewahrt und aufgehängt hat Zuroff auch einen Ausschnitt aus einer litauischen Tageszeitung. Es ist ein Foto, das ihn unter einem Straßenverkehrsschild zeigt, auf dem »Stop« steht. »Die wollen, dass ich aufhöre, in ihrer Geschichte rumzuschnüffeln«, ist er sich sicher. Doch gerade in den osteuropäischen Staaten gäbe es viele Nazi-Kollaborateure. Das Bemühen, sie zu verfolgen, scheitert ausgerechnet in diesen Ländern, so dass sie in den Jahresberichten des Wiesenthal Centers regelmäßig mit »F« für »Failure« bewertet werden: gescheitert.
Dabei drängt die Zeit. »Mir ist klar, dass die Jagd in zwei, drei Jahren vorbei sein wird.« Um vor ihrem Tod noch so viele Kriegsverbrecher wie möglich ausfindig zu machen und vor Gericht zu bringen, hat Zuroff 2002 die umstrittene »Operation Last Chance« (www.operationlastchance.org) ins Leben gerufen, bei der Hinweise auf mögliche NS-Täter mit Geldbeträgen belohnt werden.
»Auch wir haben im Rahmen dieser Aktion von ihm eine Liste mit fünf Namen bekommen«, sagt Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, Leiter der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im baden-württembergischen Ludwigsburg. Ein greifbares Er- gebnis sei nach der Überprüfung jedoch nicht herausgekommen. Deutschlands Bemühungen, Nazi-Kriegsverbrecher zu finden und vor Gericht zu bringen, wurden von Zuroff dreimal in Folge als »gescheitert« bewertet. »Er setzt ganz andere Maßstäbe an und ist vielleicht auch nicht immer richtig informiert«, sagt Schrimm. Zuroff beurteile die Arbeit nur nach dem Erfolg, nicht danach, was man alles zur Ergreifung möglicher Kriegsverbrecher tue. Trotz der Schelte des Nazijägers hält der deutsche Oberstaatsanwalt Zuroffs Tätigkeit für wichtig. »Es ist nötig, dass es noch jemanden außerhalb staatlicher Stellen gibt, der sich darum bemüht, die Leute ausfindig zu machen.«
Derzeit ist der Nazijäger vor allem hinter dem als »Dr. Tod« bekannten Nazi-Arzt Aribert Heim her, der im Konzentrationslager Mauthausen Hunderte von Insassen umgebracht haben soll – vielleicht Zuroffs letzter großer Fall. Er vermutet, dass der heute 94-Jährige sich in Chile oder Argentinien aufhält. Erst kürzlich ist er von der Suche vor Ort in Patagonien zurückgekehrt, »deswegen bin ich bestimmt erkältet.« Zuroff redet trotzdem viel und schnell. Zwischendurch klingelt immer wieder das Telefon. Freunde, Sympathisanten und Journalisten erkundigen sich nach dem aktuellen Stand der Dinge im Fall Heim. »Im vergangenen Jahr bin ich da mehr und mehr involviert worden«, sagt Zuroff. Verfolgt ihn solch ein Fall, der Wille, diese Verbrecher zu fassen, auch im Schlaf? »Ganz ehrlich? Heim geht mir am Allerwertesten vorbei. Das ist keine persönliche Sache hier. Das ist mein Job. Alles, was ich möchte, ist, diesen Mann zur Rechenschaft ziehen.« Viel Zeit dafür bleibt ihm nicht mehr.

Das Buch »Beruf: Nazijäger. Die Suche mit dem langen Atem: Die Jagd nach den Tätern des Völkermordes« von Efraim Zuroff ist im Ahriman-Verlag erschienen.

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