von Björn Rosen
Da, wo Tel Aviv am schicksten ist, ist die nächste Leine nicht weit. Denn die jungen und trendbewussten Bewohner der Stadt haben ein neues Statussymbol entdeckt. Eines auf vier Beinen. Wenn sie über den Rothschild-Boulevard oder die Sheinkin-Straße flanieren, tragen sie nicht nur Sonnenbrillen und die Modeaccescoires der Saison. Immer mehr von ihnen haben auch einen Hund dabei. Große und kleine Tiere, schwarze und helle, Dalmatiner und Golden Retriever. Die ganze Stadt ist auf den Hund gekommen. Ein Trend, der Rätsel aufgibt.
»Ich weiß auch nicht, warum das so ist«, sagt die 31-jährige Roni, während sie ihrer Laila, einer kleinen schwarzen Mischlingsdame, das rote Halsband umlegt. »Aber viele meiner Freunde besitzen jetzt einen Hund. Ich habe Laila vor zwei Monaten in einem Heim gekauft, weil ich einem verlassenen Tier helfen wollte. Junge Israelis sorgen sich einfach sehr um Tiere.« Roni sitzt, die Beine übereinandergeschlagen, auf einer Bank im Gan Me’ir in der Nähe des Dizengoff-Einkaufszentrums. Wann immer sie Zeit hat, kommt sie hierher. Der Park ist so etwas wie der Szene-Treff für Tel Avivs Hundebesitzer. Unter Pinien und Palmen führen hier zu jeder Tages- und Nachtzeit Dutzende ihre Vierbeiner aus: Frauen in hohen Stiefeln und Designer-Jeans halten mit großer Kraft Riesenschnauzer an der Leine und junge Männer mit wilder Lockenfrisur und Gitarre auf dem Rücken kümmern sich um Tiere, die an Mooshammers Daisy erinnern.
Gegenüber von Roni und Laila hat ein schlaksiger Mann mit Pferdeschwanz und grauem Dreitagebart gleich 16 Hunde an seiner Leine: Doron Lukach hat den Hunde-Trend von Tel Aviv zum Geschäft gemacht. »Meine zwei Kollegen und ich kümmern uns um die Tiere, wenn ihre Besitzer arbeiten müssen oder in den Urlaub fahren. Die meisten unserer Kunden sind unter 30«, sagt Lukach, während Terrier, Schäferhunde und ein kleiner Mops um seine Beine wuseln. Der 42-Jährige bietet seinen Service seit fünf Jahren an, bald wird er ein zweites »Hundehaus« eröffnen, in dessen Hof sich die Tiere austoben können. Die Nachfrage steigt rasant. Lukachs Erklärung: »In New York oder London haben viele schon lange einen Hund. Das ist eine Entwicklung, die langsam nach Israel herüberkommt. Für manche ist es eine Frage der Show. Die haben Gucci-Leinen und ziehen ihren Hunden im Winter Pullover an.«
Die Tel Aviver und die Hunde. »Es ist wie eine Epidemie«, meint auch Eyal Halfon, der vor acht Jahren eine Dokumentation über die Vierbeiner der Stadt gedreht hat. Der Filmemacher glaubt, der Trend zum Hund habe mit dem speziellen Lebensgefühl in Tel Aviv zu tun. »Es gibt hier sehr viele Singles. Und Hunde sind die beste Möglichkeit, ein Mädchen kennenzulernen. Sie hat einen Hund, du hast einen Hund – man trifft sich, man kommt ins Gespräch.« Wer jung ist in Tel Aviv, will das Leben genießen. Wer weiß, was morgen passiert, ist das Motto. In Tel Aviv lebt man für den Moment, intensiver vielleicht, aber auch mit wenig Verantwortung für andere. »Die Verpflichtung für einen Hund ist der Kontrapunkt zum alltäglichen Hedonismus«, glaubt Halfon. »Bevor man in ungewissen Zeiten wie diesen eine Familie gründet oder ein Kind in die Welt setzt, kümmert man sich doch lieber erstmal um ein Tier.«
Der 50-Jährige weiß, wovon er spricht. Die Dokumentation, die er einst drehte, hieß »Theo und seine Freunde« und erzählte von seinem eigenen Hund und dessen tierischen Bekanntschaften. Theo, der Hund, starb während der Dreharbeiten. Und Halfon, sein Herrchen, heiratete nach Veröffentlichung des Films eine Frau, die er beim Dreh kennengelernt hatte. Mittlerweile ist er Vater. »Ich habe den Hund für die Familie eingetauscht«, sagt er. Den meisten jungen Hundebesitzern von Tel Aviv wird es früher oder später wahrscheinlich genauso gehen.