Es ist ein stürmischer Herbst bei der ältesten Wochenzeitung der Niederlande: Seit September befinden sich Redaktion und Vorstand des Nieuw Israelitisch Weekblad (NIW) in einem offenen Konflikt. Der Anlass klingt zunächst wenig spektakulär: Vor drei Monaten entschied der Vorstand, den auslaufenden Jahresvertrag mit Chefredakteur Paul Damen nicht zu verlängern. Eigentlich hätte Damen, zuvor ein beliebter Kolumnist und Autor des NIW, nun eine unbefristete Anstellung erhalten sollen.
Es sind die Umstände, die seither hohe Wellen im Umfeld der 1865 gegründeten Wochenzeitschrift schlagen: Der siebenköpfige Vorstand begründete den Schritt mit »Meinungsverschiedenheiten bei einer Anzahl wichtiger Punkte«, ohne näher ins Detail zu gehen. Just diese kryptische Ausdrucksweise sorgt in der Leserschaft für Unmut, zumal der Vorstand in der gleichen Erklärung angibt, keine Probleme mit dem Inhalt von Damens Artikeln zu haben. Zudem bescheinigt er, die Wochenzeitung habe sich unter Damens Leitung durchaus verbessert.
Auch in einem im November eigens eingerichteten Blog (www.het-niw.blogspot.com) wird Vorstandsmitglied Ralph Prins nur wenig nuancierter. Der Chefredakteur habe nicht allein die Aufgabe, den Inhalt des Blattes zusammenzustellen. »Werden diese Aufgaben nicht richtig ausgeführt, kann sich eine Zeitung zwar verbessern, ihre Zukunft kann aber dennoch in Gefahr geraten«, so Prins.
Gerade mit dieser Formulierung sind viele Leser nicht einverstanden, denn Damen genießt weithin den Ruf, er habe das NIW, das sich auf einen kleinen Stamm von rund 6.000 vielfach älteren Abonnementen stützt, wesentlich interessanter gemacht. Redakteurin Daphne Meijer bestätigt, Damen habe eigene Initiativen und neue Ideen gefördert und den Anspruch gehoben. Der renommierte jüdische Journalist Hans Knoop, einst selbst Chefredakteur des NIW, nennt Damen gar die beste Besetzung seit Jahren, vor allem unter den erschwerten Bedingungen chronischen Geldmangels und einer nur dreiköpfigen Redaktion.
Weniger begeistert soll zumindest der Vorstand von Damens administrativen Fähigkeiten sein. Laut Kollegin Daphne Meijer habe ihr früherer Vorgesetzter von Beginn an eingeräumt, kein guter Verwalter zu sein, sondern ein »schreibender Chefredakteur«. Als hinreichender Grund taugt dies kaum, zumal Vorgänger Knoop augenzwinkernd anmerkt, Damen teile diese Eigenschaft mit »fast allen guten Journalisten«.
Es scheint, als seien es doch andere Einwände, die den Chefredakteur seinen Job kosteten. Im oben genanntem Blog räumt der Vorstand ein, Damen beschuldige ihn der Einflussnahme auf den Inhalt des NIW, widerspricht dem aber umgehend. Daphne Meijer bestätigt den Vorwurf indes und berichtet, der Vorstand habe Berichterstattung auf redaktionellen Seiten meistbietend auf einer Tombola versteigert, deren Erlös wohltätigen Zwecken in Israel zukomme. Damen habe sich dieser Einmischung widersetzt. Laut Hans Knoop seien auch Damens Artikel über interne Fragen der jüdischen Gemeinschaft beim Vorstand schlecht angekommen. Auch Paul Damen selbst schrieb in einer Kolumne zu seiner Entlassung, die redaktionelle Unabhängigkeit werde nicht respektiert.
Der weitere Verlauf steht in den Sternen. Die Leserschaft macht ihrem Unmut bisher in empörten Briefen und Abo-Kündigungen Luft. Hans Knoop und vier weitere namhafte jüdische Journalisten, teilweise ehemalige NIW-Vorstandsmitglieder, versuchten zunächst, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Im November veröffentlichten sie dann eine Presseerklärung, die den Vorstand zum Rücktritt auffordert, da »seine unnachgiebige Haltung sowohl Qualität als auch die Kontinuität« der Zeitschrift ernsthaft gefährde. Während dieser seinerseits eine Interims-Chefredakteurin angestellt hat, strengte Daphne Meijer im Namen des Redaktionsrates eine einstweilige Verfügung an, um Damen doch noch zu halten. Sie beruft sich auf das Redaktionsstatut, wonach bei einer Trennung von einem Chefredakteur zuerst die Redaktion um ihren schriftlichen Rat gefragt werden müsse. Am 10. Dezember wird das Urteil erwartet. Tobias Müller
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