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Auf dem Heimweg

Gleich in der ersten Woche, nachdem er 1986 in die texanische Grenzstadt El Paso gekommen war, hatte Rabbi Stephen Leon drei seltsame Erlebnisse. »Ich muss mit Ihnen reden, Rabino«, sagte ein katholischer Mann, der aus der benachbarten mexikanischen Stadt Juarez anrief. Jeden Freitagabend, seit er ein kleiner Junge war, hatte seine Großmutter ihn in ein Zimmer geführt, Kerzen angezündet und in einer fremden Sprache Gebete gesprochen. Als die Großmutter starb, bat er seine Mutter, diese Tradition weiterzuführen. Sie sagte ihm, er solle einen Rabbiner suchen.
Drei Tage später erhielt Rabbi Leon Besuch von einer katholischen Frau. Sie kam gerade von Verwandten, die um eine Verstorbene trauerten und in ihrer Wohnung alle Spiegel verhangen hatten. »Warum macht ihr das?«, hatte sie ihre Verwandten gefragt. Die sagten, es sei ein jüdischer Brauch.
Wenig später bekam der Rabbi Besuch von einem hispanischen Katholiken. Der knöpfte sein Hemd auf, unter dem er eine Kette mit dem Davidstern trug. Er hatte gerade erfahren, dass er jüdisch sei.

kaum fassbares Bis heute kommen Menschen hispanischer Herkunft zu Rabbi Leon, die dabei sind, ihre jüdischen Wurzeln zu entdecken. Einige beginnen mit der Suche, weil ihnen mysteriöse Bräuche aufgefallen sind, die von älteren Familienmitgliedern praktiziert werden, zum Beispiel kein Schweinefleisch zu essen, am Samstag nicht zu arbeiten. Andere erinnern sich an einen Kreisel oder ein Paar Tefillin, die eine katholische Großmutter einst unbedingt beim Rabbiner hinterlegen wollte. Für die meisten ist es etwas viel schwerer Fassbares: ein Wort oder ein Name. Und bei vielen ist es bloß ein Gefühl, das sie dazu bringt, sich zu fragen, ob ihre Familie einst jüdisch war.
Kryptojuden, Marranen, Anusim, Judios, Conversos – alles Namen für Juden, die im 15. Jahrhundert Spanien und Portugal verließen, weil die Katholischen Könige sie zur Konversion zwangen. Viele jedoch praktizierten das Judentum heimlich weiter oder hielten zumindest einige Bräuche aufrecht, auch dann noch, als sie und ihre Kinder nach Lateinamerika oder schließlich in die USA auswanderten.

interesse Einige Kryptojuden sind an der Genealogie ihrer Familie interessiert, haben aber nicht die Absicht, den Katholizismus aufzugeben. Andere praktizieren einen zweigleisigen messianischen Glauben, der sowohl das Judentum als auch Jesus einschließt. Nur wenige geben den Katholizismus auf und treten zum Judentum über – allerdings bevorzugen sie das Wort »Rückkehr«.
»Wer gehört dazu?«, fragt Stanley Hordes, einer der führenden Experten über die Kryptojuden und Verfasser des Buches To the End of the Earth: A History of the Crypto-Jews of New Mexico. »Die Chancen stehen gut, dass viele Menschen jüdische Vorfahren haben, die bis zu 500 Jahre zu- rückreichen.« Von den einigen hunderttausend Juden, die auf der Iberischen Halbinsel lebten, schätzt Hordes, verließ etwa die Hälfte das Land. Die andere Hälfte konvertierte zum Katholizismus. Von denen wiederum assimilierte sich die Hälfte allmählich und ging in der katholischen Gesell- schaft auf.
Zehn Prozent der Mitglieder in Rabbi Leons Gemeinde, der rund 400 Familien angehören, sind Kryptojuden. »Ohne meine Anusim würden wir keinen Minjan zusammenbekommen«, sagt Leon. Das ist nicht übertrieben. Die B’nai-Zion-Synagoge ist ein imposantes weißes Gebäude, das sich gegen die Bergkette abhebt, die El Paso zweiteilt. An manchem Schabbat sitzen um die 50 Menschen im kreisförmigen Kult-raum, rund 30 von ihnen sind Kryptojuden.
Für Rabbi Leon sind die Anusim zu einer Mission geworden. »Gott hat zu mir gesagt: ›Ich kann die sechs Millionen Juden nicht zum Leben zurückbringen, die im Holocaust ermordet wurden. Doch es gibt eine Gruppe, die in weit größerer Zahl am Leben sind als die Schoa-Überlebenden, denn ihr Ursprung liegt schon 500 Jahre zurück‹«, so Leon. »Ihre Seelen leben. Sie müssen etwas tun.«

gegner Nicht alle sehen diese Mission in einem positiven Licht. Rabbi Yisrael Greenberg von Chabad in El Paso rät von einem Übertritt ab. »Wir müssen vorsichtig sein, wir reißen Familien auseinander.« Er erinnert an die starken religiösen Bande in der mexikanischen Familie und Gesellschaft. »Wir sollten unsere Energie lieber in das jüdische Volk stecken, als zu versuchen, die Anusim zurückzubringen«, sagt Greenberg. »Wenn sie den Wunsch verspüren, mehr über das Judentum zu erfahren, sollten wir ihnen etwas über ihre Vorfahren erzählen, sodass sie ein grundlegendes Verständnis davon erhalten.« Dabei, so Greenberg, sollte man es bewenden lassen.
Rabbi Leon indes hegt große Pläne. Er hat in El Paso ein Studienzentrum und eine Jeschiwa ins Leben gerufen. Ziel sei, die jüdische und allgemeine Öffentlichkeit über die Inquisition und die Kryptojuden zu informieren und das Wissen darüber auf die gleiche Ebene wie das Wissen über den Holocaust zu heben. »Die Anusim werden am Ende zurückkehren«, sagt Leon, »es gibt eine Sehnsucht. Es gibt einen göttlichen Plan.«

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