von Heiko Ostendorf
Alois Brunner war der Stellvertreter Adolf Eichmanns und persönlich verantwortlich für den Tod von 120.000 Juden. Trotzdem lebte er nach 1945 zunächst unbehelligt in Deutschland; als man ihm auf die Spur kam, flüchtete er nach Damaskus. Syrien hat lange den Aufenthalt Brunners in dem Land bestritten, später ihn für tot erklärt.
In Osnabrück wird diesen Samstag eine Oper uraufgeführt, die Brunners Verbrechen und seine Flucht auf die Bühne bringt. »Die Bestmannoper« ist das Werk betitelt, weil Adolf Eichmann Brunner immer seinen »besten Mann« genannt hatte.
Auf die Geschichte Brunners aufmerksam geworden war der Komponist Alex Nowitz durch eine TV-Reportage von Georg Hafner und Esther Schapira vor sieben Jahren: »Wie sowas möglich war, daß ein Verantwortlicher noch immer frei herumlaufen kann, das hat mich interessiert«.
Seine Oper hat Nowitz nicht als trockenes Dokumentartheater angelegt. Der Komponist setzt im Gegenteil auf Emotionalität. Die Gefühlsebene entwickelt sich besonders im zweiten Akt. Die Alliierten sind 1944 in der Normandie gelandet. Das Ende des Dritten Reichs ist absehbar. Aber vorher stürmt Bestmann ein französisches Kinderheim und läßt alle jüdischen Kinder deportieren. In der Musik überlagern sich die fernen Trompetenfanfaren der Befreier mit dem Heulen der zum Abtransport bereitstehenden Lokomotive. Dann bleiben nur die traurigen Töne eines Spielzeugklaviers übrig. Die Atmosphäre verstärkt Nowitz, indem er ein französisches Kinderlied nach und nach in seine Einzelteile zerlegt. Damit will der Komponist das Perverse dieses Kindermords greifbar machen.
Bestmanns Gegenspieler in der Oper heißt Jaccuse, vom französischen »j’accuse« – »ich klage an«. Jaccuse ist das Alter ego des französischen Holocaust-Überlebenden und Nazi-Jägers Serge Klarsfeld. Als Kind bekommt er, in einem Schrank versteckt, mit, wie seine Eltern zur Deportation abgeführt werden. Dann ein Zeitsprung: Jaccuse versucht, einen Staatsanwalt zu überzeugen, daß Bestmann in Damaskus untergetaucht ist. Doch er erntet nur Gleichgültigkeit. Immer wieder taucht Jaccuse als Gespenst auf, wenn Bestmann glaubt, sich versteckt zu haben. Dazu ertönen die Frauenstimmen des Chors. Nicht auf der Bühne, sondern verteilt im Zuschauerraum. Mit diesem dramaturgischen Kniff will Nowitz die Zuschauer einbeziehen. Die sie umgebenden Stimmen sollen, sagt der Komponist, die Innenwelt, die seelische Zerrissenheit der Identifikationsfigur Jaccuse zwischen Vergangenheitsbewältigung und der Jagd nach Bestmann mitfühlbar machen.
Über Jahrzehnte zieht sich die Handlung hin, wird immer dichter und bedrängender. Immer wieder stiehlt sich Bestmann alias Brunner davon, findet neue Betätigungsfelder als Staatsterrorist. »Diese Figuren gibt es immer wieder«, sagt Nowitz, »die stets Systeme finden, in denen sie gebraucht werden.« Das will der Komponist mit seiner »Bestmannoper« demonstrieren.
Premiere am Samstag, 8. April 2006, Osnabrück, Theater am Domhof
www.theater.osnabrueck.de