Im Frühjahr 1934 stand im brandenburgischen Marwitz ein Keramikbetrieb zum Verkauf. Eine vom Bauhaus geprägte Künstlerin erwarb das attraktive Gelände. Es war die Geburtsstunde eines bis heute erfolgreich geführten Unternehmens. Die junge Frau hieß Hedwig Bollhagen. Ihre berühmte Keramik, mal »blau-weiß«, mal »blau-gelb«, füllt so manchen Küchenschrank. Ihr zu Ehren sollte in Potsdam unlängst ein Museum eröffnet werden. Zu Beginn dieses Jahres entbrannte jedoch eine öffentliche Kontroverse über die Ursprünge der »HB-Werkstätten für Keramik«. Bollhagens Lebenswerk gründe sich auf eine Arisierung, lautete der Vorwurf.
Noch im vergangenen Jahr widmete das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) der 2001 verstorbenen Bollhagen eine Retrospektive. Doch die Stadt Potsdam sah dringenden Klärungsbedarf und stellte das Museumsvorhaben zurück. Man bat das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) um fachliche Hilfe, welches die Politologin Simone Ladwig-Winters mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte. Dieses wurde zu Beginn dieser Woche der Öffentlichkeit vorgestellt.
Das Werk in Marwitz wurde 1923 von der jüdischen Keramikerin Margarete Heymann gegründet. Ein Lebenstraum, den sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Gustav Loebenstein und dessen Bruder Daniel erfüllte. Ihre »Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik« waren ein großer Erfolg. Nach dem Unfalltod der beiden Brüder 1928 führte Margarete das Unternehmen allein weiter, durchstand selbst die Weltwirtschaftskrise. Doch dann kamen die Nazis. Von einem Mitarbeiter denunziert, floh sie vor der Gestapo kurzzeitig nach Bornholm. Nach ihrer Rückkehr blieb ihr nichts übrig, als den Betrieb aufzulösen, bevor sie 1936 Deutschland endgültig verließ.
Unstrittig sei, betont Ladwig-Winters in ihrer Expertise, dass Margarete Heymann-Loebenstein ihren Betrieb verfolgungsbedingt verlor. Bollhagen habe von dieser »Arisierung« profitiert. Auch sei ihr Geschäftspartner Heinrich Schild ein exponierter Nazi gewesen. Als Generalsekretär des Reichsstandes des Deutschen Handwerks und NSDAP-Mitglied habe er zudem über die nötigen Kontakte verfügt, einen Deal zu günstigen Konditionen einzufädeln. Das Gelände in Marwitz samt Inventar wurde mit 45.000 RM deutlich unter Wert gekauft. Bollhagen selbst, die 1934 eine GmbH gründete, sei in den Erwerb nur indirekt involviert gewesen, auch wenn sie sicher vom Schicksal ihrer Vorgängerin gewusst habe.
Gleichwohl, so Ladwig-Winters, habe Bollhagen dies nicht gezielt zu ihrem Vorteil genutzt. Zwar hätten die Geschäftspartner mit ihrem im Mai 1934 eröffneten Betrieb von den politisch neuen Bedingungen profitiert, jedoch könne man sie allenfalls als »stillschweigende Partner« des Regimes betrachten. Eine skrupellose Aneignung jüdischen Besitzes sähe anders aus. Es sei daher falsch, in Bollhagen eine überzeugte Anhängerin oder gar Förderin des Nationalsozialismus zu sehen. Zu deren Entlastung führt die Autorin an, dass Bollhagen in Nora Herz nicht nur eine jüdische Freundin gehabt habe, sondern in ihrem Werk auch Verfolgten des Regimes eine Arbeitsmöglichkeit bot. Zudem habe sie sich gegenüber Zwangsarbeitern in ihrem Betrieb während des Krieges anständig verhalten.
Für ZZF-Direktor Martin Sabrow zeigt sich im Fall Bollhagen exemplarisch dieSituation vieler ganz »normaler« Deutscher: »Nutzen aus einem Regime zu ziehen, ohne dessen Anhänger zu sein, und damit in dieses Regime verstrickt zu werden, ohne es eigentlich haben zu wollen«. Bollhagens blaues Geschirr trage ebenso wenig »braune Streifen« wie den »Glasurglanz von Widerständigkeit«. Carsten Dippel
Hedwig Bollhagen