Was vergangen ist, ist vergangen. Doch manchmal lässt sich verloren Geglaubtes wieder zum Leben erwe-cken. Dies versuchen zur Zeit Informatiker und Geisteswissenschaftler an der Ben-Gurion-Universität im israelischen Beer Schewa. Erstere haben einen Algorithmus entwickelt, mit dem sich alte hebräische Hand- schriften wieder lesbar machen lassen, die im Laufe der Zeit verblasst sind oder mit arabischen Schriftzeichen überschrieben worden waren, sogenannte Palimpseste. »Ein Palimpsest ist ein Pergament, von dem der ursprüngliche Text abgeschabt und mit neuem Text überschrieben wurde«, erklärt Klara Kedem, Informatikprofessorin in Beer Schewa. Die Texte, die wieder sichtbar gemacht werden sollen, stammen aus der Kairoer Genisa, dem Al-Aksa-Manuskipt aus Jerusalem und dem Al-Azar-Manu-skript aus Kairo. Die Textfragmente befinden sich verstreut an den Univesitäten Cambridge und Oxford, sowie in der British Library, in New York, Israel und Paris.
Mit der Kairoer Genisa wurden bereits die ersten Versuche gemacht. Es handelt sich um ein Korpus, das 1890 in der Ben-Esra-Synagoge in Kairo entdeckt wurde und das etwa 200.000 Schriftstücke seit dem Jahr 800 u.Z. enthält. Federführend ist dabei der Judaist Uri Ehrlich, der gespannt auf die liturgischen Texte ist, die sich auf den alten Pergamenten befinden.
ausmalen Die Dokumente werden nun elektronisch Buchstabe für Buchstabe untersucht, um Muster zu erkennen, die eine eindeutige Datierung und womöglich sogar eine Autorzuschreibung möglich machen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die hebräischen Schriftzeichen mit bloßem Auge kaum mehr zu sehen sind. Der neu entwickelte Algorithmus bedient sich zur Sichtbarmachung des Schwellenwertverfahrens. Bei dieser aus der Bildbearbeitung bekannten Methode wird jedem Bildpunkt ein eindeutiger Schwarz- oder Weißwert zugeordnet: Unterhalb einer bestimmten Helligkeitsschwelle wird der Bildpunkt schwarz, darüber weiß. So entsteht ein sehr kontrastreiches Bild, in dem blasse Bildanteile hervorgehoben werden. Eine weitere Methode, die Inpainting-Technik, sorgt dafür, verloren gegangene Schriftanteile zu rekonstruieren. Angewendet wird diese Technik vor allem bei der Rekonstuktion alter Filme, um Kratzer, Laufstreifen und Fle-cken zu entfernen. Das Computerprogramm füllt die fehlende Bildinformation wieder auf, so wie ein Restaurateur ein Gemälde rekonstruiert oder das Gehirn den blinden Fleck im Auge ausfüllt.
Im Prinzip können diese Verfahren auf jedes alte Manuskript angewendet werden. Die an der Ben-Gurion-Universität verwendeten Algorithmen sind allerdings speziell auf hebräische und arabische Schriftzeichen zugeschnitten. Und so sind alle beteiligten Disziplinen zufrieden: Linguisten erhoffen sich Aufschlüsse über die Entwicklung der hebräischen Sprache, Judaisten wollen jüdische Gebete und jüdisches Recht studieren, und Informatiker freuen sich, wenn sie eine neue Technik ausprobieren können. Geplant ist außerdem ein Open-Source-Projekt, mit dem Forscher in aller Welt an die Analyse antiker Manuskripte gehen können.