Jossi Beilin

»Anpassung an die Realität«

Herr Beilin, Sie wollen den säkularen Übertritt zum Judentum einführen. Wozu?
beilin: Um denjenigen, die ohne den Gottesglauben Juden werden wollen, eine Alternative zur religiösen Konversion anzubieten.

Damit stellen Sie die jüdische Tradition auf den Kopf.
beilin: Es ist nur eine Anpassung an die Realität. Bis vor zweihundert Jahren waren die Volks- und die Religionszugehörigkeit bei Juden identisch. Seit der Aufklärung ist das nicht mehr der Fall. Man kann auch ohne Religion Jude sein. Und warum sollte man also nicht ohne Religion Jude werden können? Bisher ist das nicht möglich. Nicht nur orthodoxe, sondern auch konservative und reformierte Rabbiner lehnen einen Übertritt ab, wenn der Kandidat sich nicht zum jüdischen Glauben bekennt. Nun will ich mit den Rabbinern nicht streiten. Ich will ihnen nur das Konversionsmonopol nehmen.

Eines aber haben Sie mit den Religiösen gemeinsam: Sie fordern einen klar erkennbaren, bewussten Akt des Übertritts.
beilin: Mein Modell ist die Einbürgerung in den USA. Den bewussten Akt des Übertritts halte ich für erforderlich, weil das Judesein jedem Menschen das Recht verleiht, nach Israel einzuwandern, hier zu leben und Geld zu verdienen. Das ergibt sich aus dem Rückkehrgesetz. Es gibt Leute, die es für obsolet halten und es abschaffen möchten. Ich nicht. Deshalb möchte ich, dass auch der weltliche Weg zum jüdischen Volk klar geregelt ist. Ohne das Rückkehrgesetz wäre ein formaler Übertritt für Säkulare in der Tat von weitaus geringerer Bedeutung.

Wie stellen Sie sich das praktisch vor?
beilin: Der Kandidat muss bestimmte Kenntnisse des Judentums, des Hebräischen, der jüdischen Geschichte und Kultur vorweisen. Dazu gehört natürlich auch die Kenntnis des Tanach, des Talmuds und anderer religiöser Quellen. Sie sind Teil unserer Zivilisation. Ebenso die hebräische Literatur. Es wäre wünschenswert, dass ein Konvertit auch ein Werk von Chaim Nachman Bialik oder Amos Oz gelesen hat. Im Übrigen wären die Lerninhalte kein Dogma und könnten von Zeit zu Zeit revidiert werden. Wer sich die geforderten Kenntnisse angeeignet und sie bei einer Prüfung nachgewiesen hat, kann Jude werden.

Wie wollen Sie prüfen, ob er oder sie wirklich aus Überzeugung Jude werden will?
beilin: Die Gesinnung der Kandidaten kann und will ich nicht prüfen. Aber ich will es ihnen nicht leicht machen. Der säkulare Übertritt wird vielleicht schwerer als der orthodoxe sein. Der Aufwand, der den Kandidaten abverlangt wird, stellt zugleich ihre Motivation auf die Probe. Und natürlich dürfen die Übertretenden keiner anderen Religion angehören. Dass jemand als Jude firmiert und in die Kirche oder in die Moschee geht – das kommt nicht in Frage.

Wer nimmt die Konversion vor und stellt die Übertrittsurkunde aus?
beilin: Es gibt eine ganze Reihe von Personen und Organisationen, die sich mit säkularem Judentum beschäftigen. Ich hoffe, dass sie imstande sein werden, eine seriöse, von säkularen Juden allgemein anerkannte Institution zu schaffen. Diese soll die Kandidaten betreuen und Übertritte vornehmen. Um dabei zu helfen, haben wir in der Knesset eine säkulare Lobby ins Leben gerufen.

Wie viele Abgeordnete machen mit?
beilin: Acht. Es geht aber nicht nur um die Abgeordneten, sondern auch darum, dass die Lobby die Arbeit nichtstaatlicher Organisationen bündeln soll. Im nächsten Stadium muss eine Blaupause für den säkularen Übertritt in Auftrag gegeben werden. Steht das Konzept fest, kann mit der Realisierung begonnen werden.

Wird der Staat Israel säkulare Konvertiten als Juden anerkennen?
beilin: Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür liegen vor. Nach dem Rückkehrgesetz ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder zum Judentum übergetreten ist. Nirgends heißt es, dass es sich um einen religiösen Übertritt handeln muss.

Das nimmt Ihnen das Innenministerium kaum ab.
beilin: Das Innenministerium hat sich seinerzeit auch geweigert, Reformkonvertiten als Juden zu registrieren, bis das Oberste Gericht es dazu zwang. Beim säkularen Übertritt könnte es durchaus ähnlich sein.

Mit dem Politologen, ehemaligen Justizminister und Vorsitzenden der Meretz-Partei sprach Wladimir Struminski.

Düsseldorf

Igor Levit: Bin noch nicht fertig mit diesem Land

Am Klavier ist er ein Ausnahmekönner, in politischen Debatten meldet er sich immer wieder zu Wort. 2020 erhielt der jüdische Künstler das Bundesverdienstkreuz - das er nun nach eigenen Worten fast zurückgegeben hätte

 03.02.2025

Berlin

Kreise: Union will Gesetz doch zur Abstimmung stellen

Hinter verschlossenen Türen wurde in den Unionsparteien viel über das »Zustrombegrenzungsgesetz« gesprochen. Nun gibt es laut Teilnehmern eine Entscheidung

 31.01.2025

Kommentar

Der stumme Schrei der Arbel Yehoud

Die Israelin wurde am Donnerstag von den Hamas-Terroristen endlich freigelassen. Die junge Frau muss unvorstellbare Qualen ausgestanden haben

von Nicole Dreyfus  31.01.2025

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 30. Januar bis zum 5. Februar

 30.01.2025

Österreich

»Gegen Antisemitismus und Antizionismus aufstehen«

Der Bundeskanzler, dessen ÖVP Koalitionsgespräche mit der rechtsextremen FPÖ führt, sagt, weder Hass noch Ausgrenzung dürfe Platz geboten werden

 27.01.2025

Irland

Eklat mit Ansage beim Holocaust-Gedenken

Nach seinem Exkurs zum Gaza-Krieg bei der Gedenkfeier in Dublin hagelt es scharfe Kritik am irischen Staatspräsidenten

von Michael Thaidigsmann  27.01.2025

Berlin

Scholz zu Auschwitz-Gedenken: Müssen Erinnerung hochhalten

Am 80. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers wird der Opfer des NS-Terrors gedacht. Viele Zeitzeugen sind mittlerweile gestorben

 27.01.2025

Gedenken

Mehr Menschen sollen sich Auschwitz anschauen

Wer einmal dort war, stelle sich die Frage, warum die Erinnerung wachgehalten werden muss, nicht, so Zentralratspräsident Schuster

 26.01.2025

Geisel-Abkommen

Scholz: Es müssen weitere Geiseln freikommen

Noch immer sind auch deutsche Staatsbürger in der Gewalt der Hamas

 25.01.2025