von Heide Sobotka
Fast geschafft. Der neue Staatsvertrag zwischen der jüdischen Gemeinschaft und der Landesregierung von Sachsen-Anhalt ist paraphiert, aber noch nicht rechtlich verbindlich. Am 28. Februar gab als letzter der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, seine Zustimmung zu dem neuen Werk. Die Vertreter der Jüdischen Gemeinde Dessau, der Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg, der Synagogen-gemeinde zu Halle sowie des Landesver- bandes Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt hatten den Vertrag bereits am 26. Januar paraphiert. Das Werk wird sich zwar nicht in der finanziellen Ausstattung mit 1,2 Millionen Euro pro Jahr vom alten un-terscheiden. Jetzt sind im Vertragstext je-doch klar beschriebene Kriterien zur Vergabe und Verwendung der Mittel enthalten.
Die Landesregierung hatte es eilig. Am 26. März sind Wahlen in Sachsen-Anhalt. Bis dahin wollte das zuständige sachsen-anhaltinische Kultusministerium den Vertrag unter Dach und Fach haben. Hätte Privorozki jetzt nicht zugestimmt, wäre der alte Vertrag gekündigt worden. Das Verfahren für den neuen Vertrag hätte sich damit um ein weiteres Jahr verzögern können, hatte Staatssekretär Winfried Willems erklärt, der im Auftrag der Landesregierung die Verhandlungen führt. Die Gemeinden brauchen jedoch Geld, eine weitere Verzögerung hätte sie in noch größere finanzielle Schwierigkeiten gebracht.
Aus zwei Gründen war eine Neufassung nötig. Zum einen mußte die Finanzierung der jüdischen Gemeinden nach den vom Landesrechnungshof festgestellten finanziellen Unregelmäßigkeiten in den vergangenen Jahren neu geregelt und überprüfbar gemacht werden. Zum anderen galt es, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg vom 11. November 2004 umzusetzen und die liberale Synagogengemeinde Halle in die Staatsleistungen mit einzubeziehen.
Die Ursachen für die desolate finanzielle Situation aller Gemeinden in Sachsen-Anhalt sowie des Landesverbands der jüdischen Gemeinden liegen Jahre zurück. 1990 lebten in Halle etwa sechs, in Magdeburg acht Juden. 1993 wurde Gunther Helbig aus Magdeburg Vorsitzender in Halle, weil »Not am Mann« war. Die Gemeinden wuchsen durch die Zuwanderung aus Osteuropa schnell. Im Juli 1996 wählte die Jüdische Gemeinde Halle den damals 35jährigen Eli Meir Gampel zum Vorsitzenden. Mit ihm begannen die finanziellen Probleme der Hallenser Gemeinde. Gampels dubiose Geschäfte, nicht nachvollziehbare Ausgaben und Investitionen sowie Personalpolitik verursachten der Gemeinde ein Haushaltsloch von 871.000 Mark. Am 22. Mai 1997 mußte sie ihre Zahlungsunfähigkeit eingestehen.
Außerordentliche Mitgliederversammlungen, Streitereien, Gerichtsurteile überschatteten das Hallenser Gemeindeleben. Der Zentralrat der Juden in Deutschland reagierte und setzte Peter Fischer als kommissarischen Geschäftsführer ein, der der Gemeinde zu einer neuen Satzung und zu Neuwahlen für den Vorstand verhalf. Der Prozeß zog sich hin. Inzwischen hatte Karl Sommer gemeinsam mit anderen Gemeindemitgliedern die liberale Synagogengemeinde Halle gegründet.
Nachdem die neue Satzung verabschiedet war, wurde 1999 Max Privorozki zum Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle gewählt. Er wolle einen Prozeß der Aussöhnung führen, kündigte er bei Amtsantritt an. Doch es kam zur Konfrontation. Als immer wieder Finanzlöcher in den Haushalten der Gemeinden festgestellt wurden, hatte Privorozki eine unabhängige Prüfung der Gemeindefinanzen angeregt. Der Landesrechnungshof wurde tätig und stellte für den Zeitraum 1999 bis 2001 bei allen drei Gemeinden sowie beim Landesverband Mißmanagement, Ämterhäufung und fehlende Wirtschaftlichkeit fest. Im Fall Dessau führte der Landesrechnungshof die Defizite auf mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache und der deutschen Rechtsgrundlagen sowie unzureichende Erfahrungen mit deutschen Behörden und fehlerhafte Bewertung bestehender Probleme zurück. In allen vier Fällen empfahl der Rechnungshof, bei Neuwahlen dringend auf fachkundiges Personal zu achten.
Die Prüfbehörde kam schließlich zu der Erkenntnis, daß eine solches wirtschaftliches Handeln die Gemeinnützigkeit der Gemeinden in Frage stelle. Die Gemeinden liefen damit Gefahr, ihren Anspruch auf Staatsleistungen zu verlieren. Während jedoch Dessau, Magdeburg sowie der Landesverband mit den ermittelnden Beamten zusammenarbeiteten, wies Max Privorozki die nachgewiesenen Verfehlungen zurück. Schließlich sei er es doch gewesen, der sich an den Rechnungshof gewandt habe, und nun stelle man ihm nach, klagte er.
Hinzu kam, daß sich 2002 die liberale Synagogengemeinde in erster Instanz das Recht erstritten hatte, als jüdische Gemeinde an den Staatsleistungen beteiligt zu werden. Nachdem am 11. November 2004 das Oberverwaltungsgericht Magdeburg das erste Urteil bestätigt hatte, mußte gehandelt werden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland, der zunächst die Synagogengemeinde nicht als jüdische Gemeinde anerkennen wollte, respektierte das Urteil und unterstützte schließlich die Synagogengemeinde in ihrem Begehren um anteilige Berücksichtigung bei den staatlichen Mitteln gegen den Landesverband, der die Gemeinde nicht unterstützen wollte. Dieser warf der Synagogengemeinde hinter vorgehaltener Hand vor, Mitglieder aus den Reihen der Jüdischen Gemeinde Halle als eigene Mitglieder zu führen und damit Doppelmitgliedschaften finanzieren zu müssen.
Nun stritten sich die beiden Hallenser Gemeinden um die Anzahl ihrer Mitglieder und das tatsächlich auszuzahlende Geld. Während Max Privorozki zum 31. Dezember 2005 die Mitgliederzahl für die Jüdische Gemeinde zu Halle mit 739 angibt, spricht Karl Sommer von 217 der liberalen Synagogengemeinde. Als Schlichter haben nach langem Zögern beide Gemeindevorsitzenden den Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, akzeptiert. Er wird die Listen noch einmal auf Doppelmitgliedschaften überprüfen. »Sollte es solche geben, werden wir die Personen anschreiben, so daß sie sich ohne äußere Einflußnahme entscheiden können, welcher Gemeinde sie angehören wollen«, sagt Kramer.
Im vergangen Herbst hat sich auch in Magdeburg eine neue liberale Gemeinde gegründet. Sie wird sicherlich nicht vom neuen Staatsvertrag profitieren können. Der sieht vor, daß eine jüdische Gemeinde für die Staatsleistungen erst dann berücksichtigt wird, wenn sie mindestens 50 Mitglieder hat und seit fünf Jahren besteht. Die Leistungen sollen zunächst auf fünf Jahre befristet sein. Dem Landesverband sollen künftig zehn Prozent, jeder Gemeinde fünf Prozent zustehen, während die Gemeinden die restlichen Mittel entsprechend ihren Mitgliederzahlen erhalten sollen. Festlegungen, mit denen Max Privorozki nicht einverstanden ist. Trotz seiner Bedenken stimmte er dem Vertrag zu. »Ich wollte immer das Verhältnis zur Landesregierung deutlich verbessern, sagt Privorozki.