Verschiedene Kulturen und Religionen haben unterschiedliche Vorstellungen von Hexen. Was sie jedoch alle gemeinsam haben: Frauen wurden unter dem Vorwurf der Hexerei hingerichtet, auch im Judentum.
In der Tora ist Magie verboten, und es gibt verschiedene Bezeichnungen für Personen, die Magie praktizieren: Zeichendeuter, Magier, Wahrsager, Zauberer, Totenbeschwörer (5. Buch Mose 18,10). Der Unterschied zwischen ihnen besteht in ihren Ritualen und der Art von Magie, die sie ausüben.
RITUALE Ein Magier kann beispielsweise die Zukunft vorhersagen, indem er die Anordnung von Pfeilen betrachtet, die aus einem Köcher geworfen werden (Belomantie). Ein Totenbeschwörer befragt Tote mithilfe eines Schädels und so weiter. Die im Vers genannten Personen sind zwar männlich, doch sind auch Frauen einbezogen, weil das grammatikalisch männliche Geschlecht alle anderen einschließt, wie im Deutschen.
Frauen werden jedoch im 2. Buch Mose 22,17 als Zauberinnen gesondert hervorgehoben: »Eine Zauberin sollst du nicht am Leben lassen.« Der Talmud macht auf diese Tatsache aufmerksam und erklärt, dass auch männliche Zauberer nicht am Leben gelassen werden dürfen, während er die Hervorhebung von Zauberinnen damit erklärt, dass »meistens Frauen sich mit Zauberei befassen« (Sanhedrin 67a).
So verwandelte eine Wirtin Skorpione in Wasser, um jemanden damit zu vergiften (Sanhedrin 67b). Oder: Eine Frau verhexte den Sohn eines Wirtes und machte ihn unfruchtbar (Talmud Jeruschalmi, Sanhedrin 7,13). Es gibt auch Beispiele von Hexerei ohne Schaden: Die Töchter des Rabbi Nachman konnten durch Zauberei die Speise in einem Kochtopf mit ihren Händen umrühren, ohne sich zu verbrennen (Gittin 45a).
Der Talmud erzählt viele Geschichten über Frauen, die Hexerei anwandten.
Es gibt viele Äußerungen, die Frauen mit Zauberei in Verbindung bringen. »Mehr Frauen, mehr Zauberei« (Awot 2,7). Rabbi Schimon ben Jochai sagte: »Die Ehrenhafteste unter den Frauen ist eine Zauberin« (Talmud Jeruschalmi, Kidduschin 4,11). Der Talmud enthält zahlreiche Geschichten über Frauen, die Hexerei anwenden, um Männern zu schaden.
Eine Geschichte verdient besondere Aufmerksamkeit: An einem regnerischen Tag nahm Schimon ben Schetach, bekannt geworden als Vorsitzender des Sanhedrin, 80 junge Männer und gab ihnen saubere Kleidung. Er sagte zu ihnen: »Wenn ich das erste Mal pfeife, zieht ihr eure Kleider an. Wenn ich das zweite Mal pfeife, kommt ihr hereingetreten. Jeder von euch soll eine Hexe umarmen und sie vom Boden heben, denn solange die Hexe den Boden nicht berührt, kann sie nicht zaubern.«
HÖHLE Die Männer gingen nach Aschkelon, und Schimon ben Schetach stellte sich vor den Eingang der Höhle, in der 80 Hexen wohnten. Er rief: »Ojim Ojim, macht mir auf, denn ich bin eine von euch.« Die Hexen fragten ihn: »Wie bist du an diesem regnerischen Tag zu uns gekommen?« Er antwortete: »Ich bin zwischen den Regentropfen gegangen.« Sie fragten ihn: »Was hast du hier zu suchen?«, und er antwortete: »Ich komme, um zu lernen und zu lehren. Jede von euch soll zeigen, was sie kann.«
Die Hexen zeigten ihre Fähigkeiten, indem sie Brot, Fleisch und Wein herbeizauberten. Dann fragten sie ihn: »Was kannst du machen?«, und er antwortete: »Ich kann zweimal pfeifen und euch 80 junge Männer bringen, und ihr könnt euch miteinander vergnügen.« Die Hexen antworteten: »Das ist es, was wir wollen.« Schimon ben Schetach pfiff einmal, und die Männer zogen ihre Kleidung an. Er pfiff erneut, und sie kamen zusammen in die Höhle. Sie nahmen die Hexen und kreuzigten sie (Talmud Jeruschalmi, Hagiga 2,2).
Diese Geschichte wird unterschiedlich gedeutet. Wer waren diese Hexen? Waren sie jüdisch? Was war ihr Verbrechen? Unter den Forschern ist die Historizität dieser Geschichte umstritten, da Aschkelon von den Makkabäern nicht erobert werden konnte und Schimon ben Schetach, der zur Zeit der Königin Alexandra Schlomzion 76 bis 67 v.d.Z. lebte, keine Befugnis hatte, in Aschkelon Kapitalverbrechen zu ahnden. Und überhaupt, welche Verbrechen? Essen hervorzaubern ist kein Schadenzauber.
Der Talmud fragt: Wie konnte Schimon ben Schetach 80 Hexen an einem Tag kreuzigen, wenn es verboten ist, dass ein und dasselbe Gericht zwei Menschen an einem Tag richtet? Der Talmud antwortet, dass dies ein Verfahren war, das die Zeitverhältnisse erforderten, also eine Ausnahmesituation, die nicht als Präzedenzfall dienen kann. Tatsächlich gibt es keine weiteren Berichte über eine jüdische Hexenjagd, nicht im Talmud, nicht im Mittelalter und nicht in der Neuzeit.
Angeblich ließ Schimon ben Schetach 80 Hexen an einem Tag kreuzigen.
Abgesehen von den historischen und rechtlichen Aspekten sehen neuere Forscher hierin die Aufrechterhaltung der Autorität und Macht seitens der Rabbiner. Wenn Rabbiner Magie anwenden, dann ist das in ihren Augen legitim und nicht Hexerei. So wusste Schimon ben Schetach selbst über Zauberei gut Bescheid und setzte dieses Wissen gegen Frauen ein, die er der Zauberei bezichtigte.
Der Talmud preist Rabbi Eliezer als den größten Magie-Experten und erzählt, wie er mit seinen Schülern umherreist und sich mit anderen Zauberern duelliert. Rabbi Akiwa lernt, wie man durch Zauberei Gurken pflanzt. Überhaupt müssen Mitglieder des Sanhedrin in der Zauberei kundig sein (Menachot 65a).
LEGITIMITÄT Der entscheidende Unterschied zwischen Rabbinern und Frauen scheint darin zu bestehen, dass Rabbiner sich selbst als legitime Anführer betrachteten, die einen legitimen Anspruch auf ihr Wissen hatten, sodass ihre Zaubereien zum Nutzen der Gesellschaft waren. Frauen hingegen konnten die Macht der Zauberei nicht rechtmäßig nutzen. Für die Rabbiner drückt die Vorstellung von Frauen als Hexen die verborgene und bedrohliche Seite der Frauen gegenüber Männern aus und stellt Frauen als das »innere Andere« dar, dem man nicht trauen darf.
Ähnliches sehen wir bei den Römern: Die negative Darstellung von Hexen rührte aus der Furcht, Frauen könnten die männliche Kontrolle über die Gesellschaft in der säkularen und religiösen Sphäre gefährden. Die rabbinischen Aussagen und Geschichten über Frauen als Hexen spiegeln ihre Ängste vor den vermeintlich geheimnisvollen Kräften der Frauen wider.
Vielleicht liegt in dieser Geschichte auch eine Warnung, zu welcher Zerstörung und Anschuldigung gegen Frauen dies führen kann, und dass sogar die engsten Verwandten unberechenbaren Folgen davon ausgesetzt sein könnten.
Das Thema Magie und Hexerei hat im weiteren Verlauf der jüdischen Geschichte viele Spuren in der Literatur hinterlassen, mit denen man Bibliotheken füllen kann. Zwar spielt der Aberglaube in manchen Teilen der jüdischen Gesellschaft eine wichtige Rolle, doch das Bild der Frau als Hexe war schon längst überwunden, als im Europa des 17. Jahrhunderts die Scheiterhaufen noch brannten.
Der Autor ist Rabbiner in Berlin.