von Daniela Breitbart
Die Bilanz ist eindeutig. Zwischen dem 1. April 2006 und dem 31. März 2007 ist in Deutschland kein einziger NS-Verbrecher angeklagt oder verurteilt worden – und das, obwohl es immer noch zahlreiche Verdächtige gibt. Das jedenfalls behauptet Efraim Zuroff vom Jerusalemer Büro des Simon-Wiesenthal-Zentrums: »Dies ist eine große Enttäuschung.« Er hatte am Montag vor zwei Wochen einen entsprechenden Jahresbericht veröffentlicht, in dem Deutschland für seine unzureichenden Verfolgungsbemühungen die Note »mangelhaft« (»Failure in practice«) erhielt. Gleiches widerfuhr Österreich, Polen, Litauen, Lettland und Kanada. Sie hätten zwar Dutzende von Ermittlungen geführt, aber kein einziges Gerichtsverfahren eröffnet, so der Vorwurf. Schuld daran ist laut Zuroff der »offensichtliche Mangel an politischem Willen«. Die Mitarbeiter des Zentrums lobten besonders die USA und Italien für ihre Arbeit zur Enttarnung von NS-Verbrechern. Bewertet werden alle Länder, in denen entweder NS-Verbrechen begangen wurden oder die nach dem Zweiten Weltkrieg Holocaust-Täter aufgenommen haben.
In Deutschland ist die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg für derartige Ermittlungen zuständig. Ihre Aufgabe: das gesamte erreichbare ermittlungsrelevante Material über nationalsozialistische Verbrechen weltweit zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Dabei arbeitet die Zentrale Stelle mit ausländischen Behörden zusammen. Ist es gelungen, noch verfolgbare Beschuldigte festzustellen, leitet das Ludwigsburger Amt den Vorgang an die zuständige Staatsanwaltschaft weiter.
Der Leiter der Zentralen Stelle, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, weist die Vorwürfe zurück: »Die Kritik ist ungerecht.« Zwar sei es »inhaltlich richtig«, dass es keine Anklagen oder Verurteilungen gab – »dies liegt aber nicht an unserem mangelnden Interesse oder Eifer, sondern wir müssen uns an die Gesetze halten«, verteidigt Schrimm seine Arbeit und die seiner Kollegen. Er weist darauf hin, dass es heute, mehr als 60 Jahre nach Kriegsende, nur noch selten Beweismittel gebe. Zeugen seien verstorben, wichtige Dokumente nicht greifbar. »Aber wir versuchen mit großem Engagement, uns den Zugang zu möglichst vielen Quellen zu erschließen, zur Zeit besonders in den ehemaligen Ostblockstaaten und Südamerika.« Dabei stießen die Mitarbeiter der Aufklärungsstelle oft an ihre Grenzen, sagt Schrimm, wie derzeit in Russland, das seine Archive nicht zugänglich mache. »Aber wir sind noch nicht so weit, dass wir aufgeben – die Hoffnung ist noch da.«
Die Bundesregierung zeigt sich von den Vorwürfen überrascht: »Wir haben die Kritik bestürzt zur Kenntnis genommen«, so eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums. »Wir haben aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht engagiert ermitteln. Den- noch haben wir größtes Verständnis dafür, dass das Simon-Wiesenthal-Zentrum herausfinden will, warum die Zahlen so schlecht sind.« Allerdings ließen sich derartige Erkenntnisse nicht verifizieren. »Wir können nur spekulieren, dass es bei früheren Verfahren aufgrund der Beweislage einfacher war als heute.«