von Peter Bollag
Sein Ruf war ihm vorausgeeilt, und so konnte Robert Aumann bei seinem Besuch in Basel gleich mehrmals vor vollen Sälen sprechen – im Rahmen eines Wochenendes, das ihn im Anschluss an eine Tagung von Wirtschafts-Nobelpreisträgern in Lindau am Bodensee an den Rhein führte. Der 78-jährige weißbärtige Wirtschaftswissenschaftler, der eigentlich Mathematiker ist und viel über Konflikttheorien arbeitet, unterhielt die Besucher mit seinen Ausführungen aufs Beste. Vor allem natürlich mit seiner Spieltheorie, die den in Frankfurt am Main geborenen Aumann, der mit seinen Eltern 1938 in die USA flüchtete und 1956 nach Israel einwanderte, berühmt machte und ihm 2005 den Nobelpreis bescherte.
So traf er auf ein interessiertes Publikum, als er am Schabbatnachmittag diese Spieltheorie mit Blick auf den Talmud, mit dem sich der religiöse Jude Aumann seit jungen Jahren regelmäßig beschäftigt, erläuterte. Die Spieltheorie simuliert klassische Spielsituationen, um rationales Entscheidungsverhalten in Konfliktsituatio- nen zu analysieren. In diesem Zusammenhang interessiert Aumann, wie materielle Werte wie Geld oder Dinge im Falle von Streitigkeiten aufgeteilt werden. Eine Frage, die auch die Toragelehrten im Laufe der Jahrtausende immer wieder beschäftigt hat. Wie etwa im Talmudtraktat Ketubot, in dem der Fall eines Mannes erörtert wird, der bei seinem Tod drei Frauen hinterlässt. Die Frage, wie das Erbe des Mannes aufgeteilt wird, ist bis in die Gegenwart ein Streitpunkt. Aumann erläuterte seine Lösung anhand eines weiteren Beispiels: dasjenige der beiden Juden, die sich um einen Tallit (Gebetsmantel) streiten. Dabei muss herausgefunden werden, wie die genauen Besitzansprüche lauten. Sagt der eine, der Tallit gehöre ihm als Ganzes, während der andere nur die Hälfte beansprucht, dann müsse die Teilung 3:1 lauten – denn aufgeteilt werden müssten nur die 50 Prozent des Tallit, die umstritten seien.
Am Sonntagmorgen versuchte der fünffache Familienvater und 20-fache Großvater (»Jedes Kind setzt meine Spieltheorie tagtäglich überall auf der Welt in die Praxis um.«), seine Spieltheorie auf den Nahostkonflikt zu übertragen – und sparte dabei erwartungsgemäß nicht mit Kritik an der derzeitigen israelischen Regierung.
Wer die Konjunktur ankurbeln wolle, müsse die Steuern senken, um die Nachfrage zu erhöhen, so Aumann. Das sei ebenso eine Binsenwahrheit wie die politisch-strategische, die sich im Kalten Krieg durchgesetzt habe: dass, wer Frieden anstrebe, aufrüsten müsse. Und so sei im Nahostkonflikt derjenige im Vorteil, der den Faktor Zeit geschickter einsetze. Das seien eben die Araber, so Aumann, während Israel immer wieder betone, man wolle den Frieden sofort, und laut darüber nachdenke, welcher Weg dorthin einzuschlagen sei – genau wie der Mann im Talmud, der seinen Anspruch auf den Tallit selber reduziere und dadurch auch weniger erhalte.
Die andere Seite aber – Aumann sprach konsequent von »unseren arabischen Cousins« – spiele viel eher auf Zeit und erreiche deshalb viel mehr. »Als Nation fehlt uns da einfach die Geschlossenheit und auch die Fähigkeit, in unserem Dauerkonflikt Ausdauer zu zeigen«, meinte Aumann.
Keine israelische Regierung der vergangenen Jahre signalisiere den arabischen Staaten die Grundbotschaft des jüdischen Staates: »Wir sind gekommen, um zu bleiben.« Das Fehlen dieser Grundbotschaft aber ermuntere Selbstmordattentäter (»Ich finde abscheulich, was sie tun, aber ich bewundere ihren Idealismus, den es auf unserer Seite nicht mehr gibt.«) immer wieder aufs Neue.
Und mit dem israelischen Abzug aus Gasa, zu dessen erbittertsten Gegnern Aumann gehört, würde den Arabern die Botschaft vermittelt, sie könnten ihre Ansprüche irgendwann in der Zukunft problemlos einlösen. Folgerichtig lehnt Robert Aumann Verhandlungen mit den Palästinensern momentan als »sinnlos« ab.
Wer den passionierten Bergsteiger und Skifahrer aber aufgrund dieser Analyse einfach nur in die ultrarechte Ecke stellen will, wird ihm nicht völlig gerecht. So dürfte ein Teil des Publikums mit Überraschung zur Kenntnis genommen haben, dass Aumann nicht nur die Aufgabe des Gasastreifens und den damit verbundenen Umzug der jüdischen Siedler verurteilt, sondern auch Ausweisungen von Palästinensern: »Ich bin gegen jede Vertreibung, auf beiden Seiten.«
Und wer sich von dem streitbaren Gelehrten, der sich in der Gruppe »Professors for a strong Israel« engagiert, Kriegsworte gegen den Iran erhoffte, kam ebenfalls nicht auf seine Kosten: »Teheran ist meiner Meinung nach nicht die Gefahr, als die es in den Medien ständig dargestellt wird.«
Angewendet hätte Aumann seine Spieltheorie dagegen – diese Frage wurde ihm in Basel gestellt – auf den kürzlich erfolgten Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hamas. Dabei wies er wieder auf das jüdische Religionsgesetz hin: »Unsere Weisen sagen uns, dass jeder Mensch seinen ›Marktwert‹ hat.« Dieser dürfe nicht außer Acht gelassen und vor allem nicht überschritten werden. Denn sonst würden die Begehrlichkeiten bei den Entführern ins Unermessliche steigen. Aumann hätte deshalb für einen toten israelischen Soldaten auch nur einen einzigen arabischen Gefangenen freigelassen.
Die Möglichkeit, dass Aumann diese und andere seiner pointierten Meinungen demnächst einmal israelischen Regierungsvertretern erläutern kann, scheint allerdings gering. Als Seitenhieb auf eine entsprechende Frage hielt er fest: »Ich habe amerikanische Regierungen in Sachen Abrüstung beraten, aber noch nie eine israeli- sche.« Mit seinen auch in Basel geäußerten Ansichten ist es eher unwahrscheinlich, dass sich das in nächster Zeit ändern wird – auch wenn der israelische Ministerpräsident nicht mehr Ehud Olmert heißt.