von Wladimir Struminski
Am frühen Dienstagmorgen, nur einen Tag vor Beginn des neuen Jahres, heulte im Armeestützpunkt Sikkim, einen Kilometer von der Grenze zu Gasa entfernt, der Raketenalarm. Allerdings hatten die Soldaten kaum Zeit, sich in Sicherheit zu begeben; mindestens 66 von ihnen wurden durch den Einschlag verwundet. Auch wenn es keine Todesopfer gab, war das Ergebnis für die Terrororganisationen – zu der Tat bekannten sich der Islamische Dschihad und die »Volkswiderstandsausschüsse« – ein triumphaler Erfolg. Aus israelischer Sicht zeigt sich, wie gefährlich der seit Wochen eskalierende Beschuss israelischen Territoriums in Wirklichkeit ist.
Damit stieg am Dienstag auch die Wahrscheinlichkeit eines israelischen Einmarschs im Gasa-Streifen. Bisher hat Israel nur gedroht. In der vergangenen Woche warnte Verteidigungsminister Ehud Barak, eine Bodenoperation in Gasa »rücke näher«. Jetzt aber nimmt der Druck auf die Regierung, endlich zu handeln, zu – auch wenn klar ist, dass eine Offensive in Gasa kein Spaziergang sein wird. Denn die Verbände der in Gasa regierenden Hamas sind gut ausgerüstet. Nicht zuletzt verfügen sie über große Vorräte an Sprengstoffen. »Zionistische Panzer werden in Stücke gerissen«, drohen denn auch die Kassam-Brigaden, der militärische Flügel der Hamas. Nach Auffassung von Efraim Inbar, Direktor des Begin-Sadat-Zentrums für Strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität, wird weiteres Warten den Preis einer groß angelegten Operation aber nur erhöhen. Seiner Meinung nach muss Israel in Gasa nach dem Muster der Antiterroroffensive des Jahres 2002 in der West Bank vorgehen. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies, dass Israel langfristig eine gewisse militärische Kontrolle über Gasa behält.
Derweil halten die Spannungen an der Grenze zu Syrien an. In beiden Ländern wird lautstark über Kriegsabsichten des Gegners spekuliert. Zwar geht Israels Armee noch immer davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Konfrontation mit dem Nachbarland niedrig sei. Doch hat sich in der vergangenen Woche gezeigt, wie gereizt die Stimmung zwischen Jerusalem und Damaskus ist: Zu nächtlicher Stunde drangen israelische Kampfflugzeuge im Norden der syrischen Mittelmeerküste in den Luftraum des Nachbarlandes ein, durchbrachen die Schallmauer und flogen bis tief ins Landesinnere. Türkische Behörden berichteten, auf ihrem Staatsgebiet, unweit der Grenze zu Syrien, seien israelische Zusatztanks für Kampfflugzeuge gefunden worden.
Das offizielle Israel hüllt sich in Schwei- gen. Über die Hintergründe des Vorfalls gibt es bisher nur Spekulationen. Einmal heißt es, Israel habe Syrien warnen oder aber die syrische Abwehrbereitschaft prüfen wollen, dann wieder, die Jets hätten von Russland gelieferte Luftabwehrraketen der Syrer ausschalten wollen. Auf jeden Fall drohte Damaskus wutentbrannt Konsequenzen an, während der Iran Syrien seine Unterstützung zusagte. Diese könnte in einer Anweisung an die Hisbollah bestehen, Israel vom Libanon aus anzugreifen. Schließlich hat die Schiitentruppe, wie Barak in der Knesset einräumte, ihre Kampfkraft seit dem letzten Krieg mehr als wiederhergestellt. Am heutigen Rosch-Hascha- na-Abend werden die Israelis einander ein friedliches Jahr wünschen – vielleicht ist es 5768 wieder nur ein frommer Wunsch.