von Christian Buckard
Das Straßenschild »Jüdenhain« in Marienberg ist halb von Schnee bedeckt und steht verloren in der verschneiten Ebene. Von einem Hain ist weit und breit nichts zu sehen und bis wann hier einst Juden lebten und was aus ihnen wurde, erschließt sich dem Betrachter ebenfalls nicht. Besonders dieses Foto der 1940 in Florida geborenen Künstlerin Susan Hiller lässt erahnen, was sie meint, wenn sie sagt, dass sie in all ihren Arbeiten »mit Geistern ringt«. In ihrer Ausstellung »The J. Street Project«, die noch bis zum 11. Januar 2009 im Berliner Marie-Elisabeth-Lüders-Haus am Schiff-bauerdamm präsentiert wird, sind über dreihundert Fotos zu sehen, die deutsche Straßen- und Ortsschilder zeigen, in denen der Begriff »Jude« auftaucht. Das Projekt umfasst neben den Fotos auch ein Video mit Straßenszenen, eine Installation und ein Buch.
Als Susan Hiller 2002 als DAAD-Stipendiatin nach Berlin kam, führte sie ihr Weg zufällig in die Spandauer Jüdenstraße. »Als ich das Straßenschild zum ersten Mal entdeckte«, schreibt sie, »war ich schockiert, überrascht, vor allem aber verwirrt. Wessen und wem wurde hier tatsächlich gedacht? Einer verwickelten Geschichte aus Rassismus, Verfolgung und Gewalt. Beim Betrachten des Schildes machte sich Befremden breit.«
In der Tat legen die von der nichtjüdischen Umwelt erdachten Straßennamen wie Judenbrink, Judengasse, Auf dem Judenbuckel, Judenplacken, Judenkoppel, Jüdenhain, Judenloch, Judenhof, Judentor oder Judenacker nicht nur Zeugnis von der jahrhundertealten Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland ab, sondern auch von der langen Geschichte der Ausgrenzung, Stigmatisierung und des Judenhasses. Mitunter verweisen Straßennamen wie »Am Judenstein« sogar direkt auf einen bestimmten Tathergang, in diesem Fall auf die Vertreibung der jüdischen Gemeinde aus Regensburg und die Zerstörung des dortigen jüdischen Friedhofs im Jahre 1519. »Judensteine« nannte man die jüdischen Grabsteine, die sich die stolzen Verfolger wie Trophäen in ihre Hauswände einmauerten. Respektvoll anmutende Ortsbezeichnungen wie »Am jüdischen Friedhof« -– statt dem üblichen »Judenfriedhof« – oder »Am jüdischen Bethaus« sind in Deutschland immer noch die Ausnahme. Und während es hierzulande sonst üblich ist, Straßenschilder mit Erläuterungen über die Namensherkunft zu versehen, wird im Falle der »J. Streets«, wie Hiller sie nennt – das »J« verweist direkt auf den stigmatisierenden Stempel, der den deutschen Juden von den Nazis in die Personalausweise gedrückt wurde – fast immer darauf verzichtet.
Es entsteht auch nicht der Eindruck, dass die Straßennamen bewusst beibehalten wurden, um an die Vernichtung jüdischen Lebens zu erinnern. Die Bewohner haben diese Bezeichnungen schlicht gedankenlos belassen. Was war, das interessiert sie in aller Regel nicht. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Regensburger »Realschule am Judenstein«, die ihren Namen 1982 bewusst wählte, um an die Pogrome und die Schoa zu erinnern. Gleichwohl steht der jüdische Grabstein, das belegt Hillers Foto, respektlos von Schildern eingerahmt, immer noch an einer Straßenecke.
Unter den Fotos Hillers befindet sich auch das des neu angebrachten Schildes Jüdenstraße in Berlin-Spandau. Die Straße war im September 1938 nach Gottfried Kinkel umbenannt worden, da die Nazis den Anwohnern die »starke Belastung« ersparen wollten, die der ursprüngliche Name nach ihrem Verständnis darstellte. Offenbar sind nicht wenige Spandauer bis in unsere Tage hinein immer noch dieser Ansicht: Siebzehn Jahre dauerte es, bis die Straße wieder in Jüdenstraße umbenannt wurde, gegen erbitterten Widerstand der Anwohner. Beim offiziellen Rückbenennungsakt im November 2002 kam es zum Eklat, als Gegner der Namensänderung in Anwesenheit des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde ihrem Antisemitismus lautstark freien Lauf ließen.
Susan Hillers Fotos verweisen aber nicht nur auf den Umgang mit der Vergangenheit. Die Stärke ihrer Bilder liegt vor allem in dem, was nicht zu sehen ist: »The J. Street Project« ist Susan Hillers Auseinandersetzung mit endgültiger Abwesenheit.