Von Wolf Scheller
Philip Roth hat sich stets dagegen gewehrt, mit seinen Romanfiguren identifiziert zu werden. Das hat ihm nichts genützt. In den Augen der Leser ist er nach wie vor der zwanghafte Dauermasturbant Alexander Portnoy aus Portnoys Beschwerden, der selbstquälerische Schriftsteller Nathan Zuckerman, der in Deutschland gerade seinen jüngsten Auftritt in Exit Ghost hat (s. aktuelle Literaturbeilage S.3), und der zynische Lüstling David Kepesh aus Professor der Begierde.
In Wirklichkeit ist Philip Roth, der große Chronist der amerikanischen Wirklichkeit, heute ein alternder Herr, der am 19. März 75 Jahre alt wird und seinen vergeb-lichen Kampf gegen die Sterblichkeit führt. »Das Alter ist ein Massaker«, hat er in seinem Jedermann geschrieben.
An einer zweiten Front ringt Philip Roth seit seinem Erstling Goodbye, Columbus 1959 mit seiner jüdischen Identität. Nicht immer zur Freude des jüdischen Establishments in den USA. Für viele ist er bis heute ein Rischesmacher, der den Antisemiten Futter gibt. »Unausgewogene Darstellungen jüdischen Lebens«, hat man ihm vorgeworfen, »mangelnde jüdische Bildung« und natürlich »jüdischen Selbsthass«. Das lag daran, dass der unbestritten wichtigste Vertreter des jüdisch-amerikanischen Romans sich in seinen Büchern vor allem mit den kleinen schmutzigen Geheimnissen seiner Protagonisten befasst. Statt positiver Helden tauchen in Roths Romanen obszön-groteske Charaktere auf, Juden, die versuchen »Amerika durch Ficken zu entdecken«, wie es in Portnoys Beschwerden an einer Stelle heißt. Roths Figuren sind meist ebenso geile wie neurotische Männer, aus denen später sabbernde alte Böcke werden, die sich mit Inkontinenz und Prostatabeschwerden herumschlagen und doch nicht auf Sex mit jungen Frauen verzichten wollen.
Roth ist der Jude, der das eigene Nest beschmutzt. Sein halbes literarisches Leben hat er damit verbracht, Widerstand gegen seine Herkunft aus einer ostjüdischen Mittelstandsfamilie in Newark, New Jersey, zu leisten. Mein Leben als Sohn von 1991 gibt Auskunft, wie beherrschend die Rolle war, die seine Familie für Roth gespielt hat: Der übermächtige, aber todkranke Vater, der vom Sohn umsorgt wird, der Sohn, der in sorgenvoller Ungeduld den Schatten des Vaters nur mühsam erträgt. 27 Romane hat Philip Roths Befreiungskampf hervorgebracht, Romane, in denen immer wieder die Eigenarten des amerikanisch-jüdischen Kleinbürgertums Thema waren. Wobei viele dieser Eigenarten inzwischen Geschichte sind: Die angstbesetzte McCarthy-Ära, in der Roth aufwuchs, ist längst abgehakt. Ein Amerikaner, der zufällig auch Jude ist, muss nicht mehr aus Angst vor Diskriminierung oder Schlimmerem zu allem Ja und Amen sagen, was von der gojischen Obrigkeit kommt.
Die Literatur, lässt Roth in Mein Leben als Mann den Schriftsteller Tarnopol sagen, habe ihm den ganzen Schlamassel eingebrockt – also müsse ihm die Literatur da auch wieder heraushelfen. Und so verabschiedete sich Roth in den 90er-Jahren von der literarischen Nabelschau und wandte sich der amerikanischen Zeitgeschichte als Stoff zu. Er entdeckte das »amerikanische Jahrhundert«, ließ sein mitunter schrilles Gespött über jüdische Identität hinter sich und begann mit der Arbeit an seiner US-Trilogie: Amerikanische Idylle, Mein Mann, der Kommunist und Der menschliche Makel. Am Ende seiner Reise durch die amerikanische Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg aber kam Philip Roth dann doch wieder bei sich und dem Judentum an. 2004 erschien Verschwörung gegen Amerika. Darin schildert Roth einen alternativen Geschichtsverlauf, in dem 1940 nicht Franklin D. Rossevelt wiedergewählt, sondern der Atlantikflieger Charles Lindbergh US-Präsident wird, ein erklärter Judenhasser, der einen Friedensvertrag mit Hitler schließt. Die Juden Amerikas werden in diesem Buch zu Opfern antisemitischer Repressionen. Der verzweifelte Versuch der jüdischen Protagonisten früherer Rothscher Romane, dem klassischen Opfersein zu entkommen, wird hier als letztendlich vergeblich dargestellt. Es gibt keine Erlösung, weiß auch Mickey Sabbath aus Sabbaths Theater 1996, und pisst, die Kippa auf dem Kopf, eingewickelt in die US-Flagge, auf heilige Friedhofserde.
Von seinen Büchern hat Philip Roth einmal gesagt, es gehe in ihnen nicht um irgendwelche Syntax, sondern um »grobe Kraft«. Und als er 1996 bereits zum zweiten Mal den »National Book Award« erhielt, Amerikas renommierteste literarische Auszeichnung, schrieb er, Herman Melville zitierend: »Ich habe ein boshaftes Buch geschrieben und fühle mich makellos wie ein Lamm.«.
Philip Roth hat sich immer wieder zu der Notwendigkeit bekannt, das Verhältnis von Privatleben und fiktionaler Doppelexistenz ständig neu zu überdenken. Deswegen all diese Selbstbesessenheit, diese Selbstaustreibung als »Suche nach Befreiung vom Selbst«. Philip Roth inszeniert sich selbst, schreibt mit und ohne Maske, wehrt sich mit kühner Intelligenz und großer Leidenschaft gegen Alter, Krankheit und Tod. Doch diesen Kampf, weiß Philip Roth selbst, kann er nur verlieren.
Stefan Zweig im DHM
»Die drei Leben des Stefan Zweig« heißt eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin vom 8. März bis 12. Mai. In einem Rundgang werden Stationen aus Leben und Werk des Schriftstellers (1881-1942) gezeigt, der in den 20er- und 30er-Jahren mit Büchern wie Sternstunden der Menschheit, Marie Antoinette und Fouché ein literarischer Star war. 1938 musste Stefan Zweig vor den Nazis aus seiner Wahlheimat Österreich flüchten. 1942 setzte er im brasilianischen Exil aus Verzweiflung seinem Leben gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau selbst ein Ende. ja
www.dhm.de
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Rothko in München
Die Münchner Hypo-Kunsthalle zeigt bis 27. April mehr als 100 Arbeiten des abstrakten Expressionisten Mark Rothko, der zu den bedeutendsten amerikanischen Künstlern des 20. Jahrhunderts zählt. Die Schau reicht von frühen Stadtszenen bis zu den berühmten großformatigen Farbfeldbildern. Rothko wurde 1903 als Markus Rothkowitz und viertes Kind eines jüdischen Apothekers in dem damals zu Russland gehörenden lettischen Dwinsk geboren. Als Zehnjähriger kam er mit seiner Familie in die USA. Seine Laufbahn als Maler begann er 1930 seine Laufbahn als Maler begann. 1970 tötete sich Rothko in seinem New Yorker Atelier. Nach München wird die Retrospektive vom 16. Mai bis 3. August in die Hamburger Kunsthalle zu sehen sein. dpa
www.hypo-kunsthalle.de