Georg Kreisler ist der Letzte seiner Art. In den 20er- und 30er-Jahren hatten jüdische Komponisten, Texter und Künstler das deutschsprachige Kabarett geprägt. Doch die Fritz Grünbaum, Kurt Gerron, Fried-rich Holländer und Mischa Spoliansky wurden vertrieben oder ermordet. Ihre Tradition der intelligenten Unterhaltung, des ironischen Wortwitzes, des Tiefgangs ohne Trübsinn führt seither allein auf weiter Flur der 1922 geborene Kreisler fort. Über 50 Jahre lang stand er auf der Bühne, erst in New York, dann in Wien, München und Berlin, sang seine selbst komponierten und getexteten Chansons, von denen viele längst Klassiker sind wie Taubenvergiften im Park, Onkel Joschi und die Telefonbuchpolka – heitere Melodien zu oft bitterbösen, sarkastischen Texten.
Inzwischen ist Georg Kreisler 86 Jahre alt. Aufgetreten ist er seit 2001 nicht mehr. Doch in Tim Fischer, mit dem er seit Jahren eng zusammenarbeitet, hat er seinen würdigen Nachfolger auf der Bühne gefunden. Für ihn hat Kreisler jetzt ein neues Programm zusammengestellt, das der 34-Jährige in der Berliner »Bar jeder Vernunft« kongenial präsentiert. Es sind alte Lieder dabei wie Der Fliegergeneral und neue Songs wie Samoa. Das legendäre Taubenvergiften wurde aktualisiert: Jetzt ist daraus ein Unfall im Kernkraftreaktor geworden. Auch Jüdisches gibt es wie Ich fühl mich nicht zuhause und Mein Weib will mich verlassen. Die Bandbreite reicht von Alltagskomik über zeitkritische Satire und Poetisches bis zu surrealistisch anmutenden Chansons wie Das Haus am grünen Bach. Diese inhaltliche und stilistische Vielfalt findet in Tim Fischer ihren perfekten Interpreten. Ohne Kostüme, Bühnenbild und Lichteffekte, nur von Rüdiger Mühleisen am Flügel begleitet trifft er allein mit seinem stimmlichen, mimischen und gestischen Variationsreichtum bei jedem der 27 Stücke stets genau den Ton – im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Das Spiegelzelt der Bar jeder Vernunft liefert dazu das passende Ambiente. Eine perfekte Show! Michael Wuliger
Tim Fischer singt Georg Kreislers »Gnadenlose Abrechnung«
Bis 1. März in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Berlin-Schöneberg
www.bar-jeder-vernunft.de