Noch sieht es nicht sehr wohnlich aus im Maimonides-Zentrum (MZ), dem neuen Elternheim der jüdischen Gemeinde Wiens. Die Arbeiter sind mit dem letzten Feinschliff beschäftigt, die Möbel müssen teils erst noch angeliefert werden. Doch am 15. Dezember soll alles fertig sein: Zur feierlichen Eröffnung kommen neben Österreichs Bundespräsidenten Heinz Fischer und dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl auch Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, und Israels Verteidigungsminister Ehud Barak.
Hinter dem Architekten Thomas Feiger liegen damit fünf Jahre Planung. Er zeichnet auch für die beiden angrenzenden Gebäude verantwortlich: das Sportzentrum des Vereins Hakoah und der Neubau der Zwi-Perez-Chajes-Schule. Die drei Gebäudekomplexe im Wiener Prater bilden mit einer Grundfläche von 28.000 Quadratmetern und einer Nutzfläche von 37.000 Quadratmetern den derzeit größten jüdischen Campus in Europa, wie der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Ariel Muzicant, stolz betont.
demenzschleife Auf neun Stockwerken und insgesamt 27.000 Quadratmetern Innenfläche bietet das neue Maimonides-Zentrum drei Möglichkeiten des Wohnens: Im Pflegeheim stehen auf sieben Stationen je 30 Betten zur Verfügung. Die Unterbringung erfolgt in Ein- und Zweibettzimmern. Zwei Stationen wurden speziell für Demenz- und Alzheimerpatienten gestaltet, erklärt Architekt Feiger. »Diese Menschen haben das Bedürfnis, immer in Bewegung zu sein, nirgends anzustoßen.« Die gesamte erste Etage wurde daher in O-Form angelegt, also eine »Demenzschleife« errichtet. Wer will, kann hier im Kreis gehen. Die Patienten tragen zudem Armbänder, mit denen man sie über eine Desorientiertenanlage auf dem gesamten Areal orten kann, wenn sie die Station verlassen. In diesem Fall aktiviert sich sofort ein entsprechender Alarm.
In den beiden obersten der insgesamt neun Etagen wurden Seniorenresidenzen eingerichtet. Wer will, kann sich hier in einem Apartment selbst versorgen. Wem es nicht mehr so gut geht, der kann sowohl die Küche als auch die Reinigung des Elternheims in Anspruch nehmen und an das Schwesternnotrufsystem angeschlossen werden. Gänzlich unabhängig wohnt man im Wohnheim – dort gibt es Ein- bis Dreizimmerwohnungen, die nicht nur von Senioren gemietet werden können.
winterweiss Außen hat Feiger viel mit Glas und Aluminium gearbeitet. Verschiedene Grautöne bilden eine Einheit, der gesamte Gebäudekomplex ist lichtdurchlässig. Innen dominiert der Farbton Winterweiß. Insgesamt wurde hier ein State-of-the-Art-Komplex geschaffen: Das neue MZ verfügt über ein Ärzte- und Therapiezentrum ebenso wie über einen Therapiegarten (Feiger: »mit Hochbeeten, sodass man sich nicht bücken muss«).
Und natürlich wird auch Jüdischkeit groß geschrieben. Die milchige und die fleischige Küche sind riesig und weit voneinander getrennt: Sie befinden sich in unterschiedlichen Etagen. Insgesamt wird hier künftig für 1.000 Leute pro Tag gekocht: Das Küchenpersonal verpflegt nicht nur das Elternheim, sondern auch die Schule und jene Menschen, die »Essen auf Rädern« abonniert haben.
Mit der Schule teilt sich das MZ auch die Synagoge, die Platz für 250 Menschen bietet. Grundsätzliches Ziel des Campus ist es, die Generationen zusammenzubringen. »Eltern, die ihr Kind in den Kindergarten oder die Schule bringen, besuchen dann vielleicht auch öfter ihre Eltern«, sagt Muzicant. Aber auch die Enkel sollen durch die räumliche Nähe eine tiefere Beziehung zu ihren Großeltern aufbauen können, nicht zuletzt auch durch die gemeinsame Nutzung der Außenanlagen und des Sportzentrums.
92 Millionen Finanziell war die Errichtung des Campus ein Kraftakt: 92 Millionen Euro kostet das Projekt. Mit neun Millionen Euro schlug der Erwerb des Grundstücks zu Buche, acht Millionen kostete das Hakoah-Gebäude, 18 Millionen die Schule, 57 Millionen das Elternheim. Dafür erfüllten alle Gebäude höchste Sicherheitsstandards, und es sei in Sachen Energie auf Umweltverträglichkeit und Synergien geachtet worden, sagt Muzicant. Die Kühlung zum Beispiel erfolge etwa über einen Grundwasserbrunnen – schließlich ist die Donau nicht weit.
Bei der Wahl des Architekten begab sich die Gemeinde in bewährte Hände: Seit fast 30 Jahren baut Thomas Feiger neben Hotels, Wohnbauten, Geschäften auch immer wieder für die IKG. So schuf er 1980 das neue Gemeindezentrum neben dem Stadttempel in der Wiener Innenstadt. Auch alle anderen Infrastrukturprojekte – vom Um- und Zubau des früheren Schulstandorts nahe dem Augarten über das psychosoziale Zentrum ESRA bis zur Gedenkstätte für die 65.000 im Holocaust ermordeten österreichischen Juden im Vorraum der Synagoge in der Seitenstettengasse – alles wurde von Feiger geplant.