Hochgebirge

Als die Alpen arisch wurden

von Bettina Spoerri

In den Bergen kann man im Sommer kuren, wandern, die hohen Felswände erklimmen und Gipfel erstürmen. Dass das auch eine Leidenschaft von Juden im europäischen Alpenraum war, ist heute im kollektiven Gedächtnis weitgehend vergessen, wahrscheinlich weil – trotz Zionismus – die Vorstellung von naturverbundenen Juden dem Klischeebild des urban ausgerichteten jüdischen Neurotikers diametral entgegensteht.
Die Liebe der jüdischen wie nichtjüdischen Städter zu den Alpen begann mit der Industrialisierung, als sich das Bedürfnis nach unberührten Naturzonen entwi-ckelte. Die Berge verloren paradoxerweise dadurch ihre Abgeschiedenheit. Verkehrswege auf und durch die Alpen wurden ausgebaut, luxuriöse, legendäre Hotels entstanden. Der internationale Tourismus eroberte die Alpen, dabei auch Schriftsteller wie Kurt Tucholsky, Arthur Schnitzler, Marcel Proust und Stefan Zweig. Vor allem das Engadin in der Schweiz war sehr beliebt: Man traf sich in Sils Maria oder St. Moritz im Oberengadin. Im St. Moritzer Hotel Palace gingen Sarah Bernhardt und Erich von Stroheim ein und aus.
Neben den Luxustouristen in den alpinen Grand Hotels gab es von Anfang an auch die »echten« jüdischen Alpinisten. Guido Mayer, Otto Margulies, Josef Braunstein, Oskar Marmorek, Louis Friedmann, Wilhelm Philipp Rosenthal und Ferdinand Bloch-Bauer zählten Anfang des 20. Jahrhunderts zu den bekanntesten Kletterern Deutschlands und Österreichs. Sigmund Freud war passionierter Alpenwanderer, ebenso Theodor Adorno. Paul Celan hat in seinem Prosastück Ein Gespräch im Gebirg 1959 eine (nicht zustande gekommene) Verabredung mit dem Philosophen im Engadin thematisiert.
Ein begeisterter Bergsteiger war auch Victor Frankl. Der Begründer der Logotherapie und Auschwitzüberlebende gehörte zu den Festrednern bei der 125-Jahrfeier des Österreichischen Alpenvereins 1987. Dort ging Frank sehr versöhnlich mit der Tatsache um, dass bei der Entwicklung des Antisemitismus im 20. Jahrhundert die Alpenvereine eine Vorreiterrolle gespielt hatten. Schon kurz nach 1900 führten einige Alpenvereine den Arierparagrafen ein, 1905 existierte die erste »rein arische« Sektion des deutsch-österreichischen Alpenvereins. Erstbesteigungsberichte von Juden wurden systematisch verschwiegen. An etlichen Berghütten hingen bald Schilder, dass Juden »nicht erwünscht« seien. Die Alpen wurden als Projektionsraum für völkisch-nationale Ideologien mythisch verklärt, zum Symbol für Widerstandskraft und naturwüchsige Unverdorbenheit, und dem als jüdisch apostrophierten amoralischen Großstadtleben und »Kulturzerfall« entgegengestellt. Die heroischen Bergdramen von Leni Riefenstahl und Luis Trenker atmen diesen Geist.
Als Reaktion auf den alpinistischen Antisemitismus gründeten österreichisch-jüdische Bergfreunde, darunter der spätere Hollywoodregisseur Fred Zinnemann, 1921 ihren eigenen Alpenverein Donauland. Doch schon 1924 wurde der Verein aus dem Deutschen und Österreichischen Alpenverband (DÖAV) ausgeschlossen. Jüdische und nichtjüdische Mitglieder der Sektion Berlin gründeten daraufhin 1925 den Deutschen Alpenverein Berlin, der gemeinsam mit Donauland von 1928 bis 1930 an einem der schönsten Aussichtsplätze der Zillertaler Alpen die Berghütte Friesenberghaus errichtete. Der Alpenverein Berlin wurde 1934 verboten, Donauland erlitt nach dem Anschluss Österreichs 1938 dasselbe Schicksal.
Die Nazis vereinnahmten den völkischen Alpinismus schließlich ganz für sich. Bergsteiger wie Heinrich bezwangen »für den Führer« das Matterhorn und 1938 die Eigernordwand und markierten die Gipfel mit einem Hakenkreuz.
Ganz »judenfrei« waren die Alpen aber glücklicherweise nicht: Einer kleinen Zahl österreichischer Juden gelang nach dem Anschluss 1938 die Flucht über die Berge in die Schweiz. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Alpen dann zum Sanatorium für Schoa-Überlebende. Amerikanische Soldaten brachten Befreite aus Auschwitz nach Schuls im Unterengadin. In Davos wurden im Lungensanatorium Ethania ehemalige Häftlinge vor allem aus Buchenwald untergebracht; einige starben dort und wurden auf dem jüdischen Friedhof begraben. In Meran hielten sich in den Jahren 1945 bis 1947 bis zu 15.000 Holocaust-Überlebende auf. Nach 1945 wurde auch der Alpenverein Donauland wiederbelebt, existierte aber mangels Mitgliedern nur 10 Jahre und wurde 1955 aufgelöst.
Heute gibt es in den Alpen wieder Hotels für fromme jüdische Gäste, wie das glatt koschere Blumenhotel Tirolerhof im österreichischen Saalbach-Hinterglemm oder das Edelweiss in St. Moritz mit eigener Synagoge. Da und dort erobern sich junge Juden die Alpen auch physisch zurück. In der Schweiz organisiert der jüdische Studentenverband regelmäßige alpine Wintermachanot. Und vorigen Sommer begaben sich jüdische Jugendliche aus München auf die Spuren des jüdischen Alpinisten Gottfried Merzbacher in Oberbayern. Der traditionelle deutsche Kletterergruß »Berg Heil« wird ihnen dabei wahrscheinlich aber nicht über die Lippen gekommen sein.

Bat Jam

Mehrere Busse explodiert – weitere Sprengsätze entschärft

In einem südlichen Vorort von Tel Aviv explodieren mehrere Busse. Zudem werden laut Medienberichten weitere Sprengsätze gefunden.

 20.02.2025

Wittenberg

Luthergedenkstätten untersuchen ihre Sammlung auf NS-Raubgut

Zwischen 1933 und 1945 erworbene Objekte werden analysiert

 19.02.2025

Grenzgebiet

Israel will auch nach Abzugstermin fünf Posten im Südlibanon halten

Israel belässt auch nach dem weitgehenden Truppenabzug aus dem Libanon fünf Posten nahe der Grenze. Unklar ist noch, wie man im Libanon auf diese »vorübergehende Maßnahme« reagieren wird

 17.02.2025

Braunau

Streit über belastete Straßennamen im Hitler-Geburtsort

Das österreichische Braunau am Inn tut sich weiter schwer mit seiner Vergangenheit. Mehrere Straßen tragen nach wie vor die Namen bekannter NS-Größen. Das soll sich nun ändern

 13.02.2025

Bund-Länder-Kommission

Antisemitismusbeauftragte fürchten um Finanzierung von Projekten

Weil durch den Bruch der Ampel-Koalition im vergangenen Jahr kein Haushalt mehr beschlossen wurde, gilt für 2025 zunächst eine vorläufige Haushaltsplanung

 12.02.2025

Österreich

Koalitionsgespräche gescheitert - doch kein Kanzler Kickl?

Der FPÖ-Chef hat Bundespräsident Van der Bellen über das Scheitern der Gespräche informiert

 12.02.2025

Düsseldorf

Jüdische Zukunft: Panel-Diskussion mit Charlotte Knobloch

Auf dem Podium sitzen auch Hetty Berg, Armin Nassehi und Philipp Peyman Engel

 11.02.2025

Sport

Bayern-Torwart Daniel Peretz trainiert wieder

Der Fußballer arbeitet beim FC Bayern nach seiner Verletzung am Comeback

 09.02.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  05.02.2025