von Peter Bollag
»Was geb’ ich auf das Gewäsch, daß ich gestern erzählt habe.« Dieses Motto vieler Politiker scheint sich in den vergangenen Wochen auch der Schweizer Justizminister Christoph Blocher auf seine Fahnen geschrieben zu haben. Hatte er als oppositioneller Parlamentarier seiner Schweizerischen Volkspartei (SVP) noch vehement da- gegen gekämpft, wenn Regierungsmitglieder sich für Vorlagen aus der eigenen »Küche« einsetzten, tat er jetzt dasselbe: Landauf und landab erläuterte er die geplanten Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht der Schweiz. Der Unterschied zwischen seinen Erklärungen und knallharter Propaganda war dabei nicht immer so ganz klar zu erkennen.
Doch Blochers persönlicher Einsatz hat sich gelohnt. Als am Sonntagabend in Bern die Volksabstimmung ausgezählt wurde, hatten fast 70 Prozent den beiden Vorlagen zugestimmt. Ländliche, eher konservative Gebiete hatten dabei ebenso zugestimmt wie »linke Städte« (Basel, Zürich und Genf). Verlierer war eine kleine Gruppe der »Links-Grünen« im Lande, die die Verschärfungen abgelehnt hatte. Zu den Verlierern muß aber auch die jüdische Minderheit der Schweiz gezählt werden, die sich in verschiedenen Stellungnahmen ganz klar gegen die Gesetzesverschärfungen ausgesprochen hatte, an vorderster Front die bisher einzige, jetzt ehemalige, jüdische Bundesrätin, die Sozialdemokratin Ruth Dreifuss. Sie hatte, wie viele andere auch, Parallelen gezogen zwischen den heutigen Flüchtlingen und denen, die während der Nazi-Zeit an den Schweizer Grenzen Einlaß und Schutz begehrten.
»Als Schweizer Jude erinnert mich die Diskussion über ›echte‹ legale und ›unechte‹ illegale Flüchtlinge unweigerlich an den Zweiten Weltkrieg.« Dies bekannte der Schokolade-Fabrikant und frühere Präsident des Schweizer Israelitischen Gemeindebundes (SIG), Rolf Bloch, der ebenfalls gegen Blocher in den Ring gestiegen war. Aber auch Bloch konnte eben nicht akzeptieren, daß die jetzt beschlossenen Verschärfungen im Schweizer Asyl- und Ausländerrecht künftig einen Flüchtling zwingen, seinen Paß oder eine Identitätskarte vorzulegen, um einer drohenden Abschiebung zu entgehen. Oder daß er nach einer Ablehnung seines Asylantrags prinzipiell in Abschiebehaft genommen werden muß. Damit würden die Flüchtlinge, die in die Schweiz einreisen möchten, kriminalisiert. Der Hinweis auf die »zahlreichen« Mißbräuche verfehlte seine Wirkung auf die Stimmbürger jedoch offenbar nicht. Erst kürzlich war den Flüchtlingen und Asylbewerbern im Lande (ohne vorherige Volksabstimmung) die finanzielle Unterstützung, eine Art Taschengeld, gestrichen und durch Abgabe von Naturalien ersetzt worden.
Nun hat die Schweiz eines der schärfsten Asylgesetze Europas. Daß dies auch viele jüdische Schweizer stört – fast alle jüdischen Gemeinden hatten ihre Mitglieder dazu aufgefordert, die Blocher-Vorlagen abzulehnen – ließ den Minister allerdings völlig kalt: »Sie haben verschiedene Motive«, sagte er in einem Interview über seine Gegner und fügte hinzu: »Es hat auch Juden darunter, die sind in einer speziellen Lage.« Weil er mehr nicht mehr anfügte, ließ er Raum für Spekulationen.
Immerhin war Blocher und seiner Partei während der Diskussion in den neunziger Jahren über das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg immer wieder Antisemitismus vorgeworfen worden. Wogegen er sich teilweise (aber nicht immer erfolgreich) auch gerichtlich zur Wehr gesetzt hatte. Kurz vor der Abstimmung über das Asylgesetz fragte eine Leserbriefschreiberin in der Neuen Zürcher Zeitung: »Meint er (Blocher) etwa, daß die Juden zwar Schweizer, aber Schweizer zweiter Klasse seien und sie sich deshalb mit den Asylbewerbern identifizieren könnten?«. Abstimmungssieger Blocher wird die Antwort auf diese Frage wohl schuldig bleiben und in der jüdischen Gemeinschaft der Schweiz damit für weitere Diskussionen sorgen, wie mit der SVP und Blocher umzugehen sei.