von Johannes Boie
Es ist ein Monsterprojekt, das in Wien derzeit in Angriff genommen wird. Die Israelische Kultusgemeinde (IKG) baut für rund 85 Millionen Euro eine Schule, ein Altenheim sowie ein Sport- und Freizeitzentrum. Circa 600 Kinder werden in die neue Schule gehen, das Altenheim wird 204 Wohnungen bieten – in Wien gibt es jetzt viel zu tun. Kein Wunder also, dass Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg am Telefon abnimmt, während er gleichzeitig ein anderes Gespräch auf einer weiteren Leitung beendet. »Der Oberrabbiner kann die anfallende Arbeit nicht mehr alleine bewältigen«, sagt IKG-Präsident Ariel Muzicant. Benjamin Gilkarov, Jugendleiter der Gemeinde, sieht das ähnlich: »Unter dem enormen Arbeitspensum des Rabbis leidet ab und an die Zusammenarbeit zwischen uns und dem Rabbinat, obwohl Eisenberg immer versucht, da zu sein.«
Abhilfe soll jetzt ein Jugendrabbiner schaffen. In Wien ist die kommende Ausschreibung nichts Ungewöhnliches. »Die ultraorthodoxen Gemeinden haben schon zusätzliche Rabbiner, die selber jung sind und sich um den Nachwuchs kümmern«, sagt Gilkarov. Nur würde dort nicht der Begriff »Jugendrabbiner« verwendet. IKG-Oberrabbiner Eisenberg selber begann seinen Job in Wien als Jugendrabbiner, und vor Kurzem gab es bereits einen Jugendrabbiner in Wien, der jedoch aus persönlichen Gründen die Arbeit nach einem Jahr beendete und nach London ging.
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hat von jeher einen hohen Stellenwert in der Hauptstadt Österreichs. Mit dem Neubau soll sie endgültig zu einem Schwerpunkt gemacht werden; darüber hinaus werden Alte und Junge durch die nah beieinanderliegenden Zentren aneinander gewöhnt und Teil der jeweils anderen Welt.
Muzicant wünscht sich einen Rabbiner, der seelsorgerische Arbeit bei Kindern und Jugendlichen leisten kann, Eisenberg setzt auf Fähigkeiten als Koordinator in der neuen Schule. Zum Beispiel soll der künftige Jugendrabbiner es ermöglichen, dass fromme Schüler ihr Bedürfnis nach mehr Religionsunterricht gestillt bekommen, ohne dass dabei weniger fromme Schüler gelangweilt werden oder unterrichtsfrei in der Schule warten müssen. Außerdem soll der Jugendrabbi als Bindeglied zwischen den Schülern der jüdischen Schule und der Synagoge dienen. »Der Jugendrabbiner soll so viel Elan haben, dass er die Schüler in die Synagoge bringen kann«, wünscht sich Eisenberg. Wer sich in der Gemeinde umhört, merkt schnell, was wirklich gesucht wird: ein Alleskönner sollte es schon sein, so unterschiedlich sind die Ansprüche innerhalb der Gemeinde.
Nur eines ist Präsident Muzicant egal: die Staatsbürgerschaft. Lediglich exzellente Deutschkenntnisse, wenn nicht gar Deutsch als Muttersprache, seien notwendig. Außerdem könne sich die Herausforderung, einen guten Draht zu jungen Menschen zu haben, auch über das Alter des Jugendrabbiners definieren. Dies sei aber keine Bedingung. Die Stelle des Rabbiners sei »für Wien geplant«, betont Muzicant, das heiße aber nicht, dass er nicht auch mal außerhalb der Stadtgrenzen mithelfen könne.
Ohnehin gibt es schon jetzt in Sachen Jugendarbeit genug zu tun. Und manches kann nach Ansicht von Eisenberg noch besser werden: »Unsere Madrichim sind in so vielen verschiedenen Gruppen beschäftigt.« Gleich fünf Jugendbewegungen kümmern sich in Wien um den Nachwuchs, die Fäden laufen bei Gilkarov zusammen. »Der neue Rabbiner wird sich vor allem um die religiösen Belange der Jugendlichen kümmern«, glaubt Gilkarov und er ist sicher: »Wo es Überschneidungen in der Arbeit gibt, entsteht sicher keine Konkurrenz, sondern eine gute Zusammenarbeit.«