von Amos Bardea
Der Wochenabschnitt Schoftim wird gelesen zur Einstimmung auf den Monat Elul, den Monat der Gnade und der Buße, die Zeit der Vorbereitung auf die Hohen Feiertage. Im Mittelpunkt des jüdischen Neujahrsfestes steht der Gedanke, die Herrschaft des Himmels anzunehmen. Über die Generationen hinweg hat dieser Tag die Gestalt eines Tags des Urteils angenommen, an dem alle Geschöpfe vor dem himmlischen Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen werden. Also ist es durchaus angemessen, dass die Schaffung von Rechtsinstitutionen und die Frage nach Herrschaft in der Lesung dieser Woche eine Rolle spielen. Bevor das Volk Israel das Land betritt, belehrt Moses es in allen Einzelheiten über diese beiden Institutionen.
Das erste Thema unserer Wochenlektüre ist das Gebot, Einrichtungen für das Gesetz und die Durchsetzung des Gesetzes zu schaffen. Anschließend legt Moses die Rechtsvorschriften über die Schaffung der Institution der Königsherrschaft fest, sollte das Volk eine solche Institution wünschen. In dieser kurzen Skizze möchte ich beide Institutionen – die rechtliche und die königliche – vergleichen und die Wechselbeziehungen zwischen ihnen untersuchen, wie sie sich in unserem Wochenabschnitt darstellen.
Von Anfang an wurde den Israeliten auferlegt, Rechtsinstitutionen zu schaffen: »Richter und Listenführer sollst du in allen Stadtbereichen einsetzen, die der Herr, dein Gott, dir in deinen Stammesgebieten gibt. Sie sollen dem Volk Recht sprechen und gerechte Urteile fällen« (5. Buch Mo-
ses 16,18).
Währenddessen greift die Vorschrift über die Schaffung der politischen Institution des Königtums erst nachträglich: »Wenn du in das Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt, hineingezogen bist, es in Be-
sitz genommen hast, in ihm wohnst und dann sagst: Ich will einen König über mich einsetzen wie alle Völker in meiner Nachbarschaft! Dann darfst du einen König über dich einsetzen, doch nur einen, den der Herr, dein Gott auswählt« (5. Buch Moses 17,14).
Die Einrichtung des Königtums in Israel setzt also den Wunsch des Volkes voraus, wie alle anderen Nationen zu sein. Die Schaffung von Rechtsinstitutionen hingegen ist ein göttliches Gebot, so wie alle Na-
tionen der Welt die sieben Gebote befolgen sollen, die für die Nachfahren Noahs gelten.
Die Tora weitet Status und Machtvollkommenheit der rechtlichen Institution aus, Status und Machtvollkommenheit der Königsmacht schränkt sie ein.
Würden wir in unserem Wochenabschnitt nach einem Muster für die Strukturierung von staatlichen Institutionen suchen, wäre die Tora selbst die Gesetzge-
bung und der Richter derjenige, der an den Gerichtshöfen die Grundsätze der Tora nach seinem besten Verständnis anwendet und somit selbst an dem gesetzgeberischen Prozess teilnimmt. Die Krone als die Institution absoluter Herrschaft, die unter allen anderen Nationen der Welt akzeptiert wird, existiert in Israel überhaupt nicht. Denn der Status des Königs ist so gut wie beseitigt, sein Machtbereich besteht nicht mehr, und er selbst, wie der Rest seiner Mitbrüder, untersteht der Tora und ihren Geboten, wobei Letztere von den legislativen und judikativen Gewalten festgelegt werden. Ein solches Muster ist höchst revolutionär, auf jeden Fall im Vergleich zur üblichen Praxis in biblischer Zeit. Auf paradoxe Weise bringt der Wunsch, wie alle andere Nationen einen König als irdische Macht zu haben, mit Hilfe der richterlichen Gewalt die Herrschaft des himmlischen Königreiches über die Erde hervor. Ebenso wird, in der entgegengesetzten Richtung, das himmlische Königreich durch die Weisen und ihr menschliches Verständnis der Anweisungen der Tora auf Erden verwirklicht. Daher wächst das himmlische Königreich aus der Erde hervor, wie es in den Psalmen heißt (Psalmen 85,12): »Treue sprosst aus der Erde hervor.«
In der Epoche der Richter sollten die Prinzipien der Tora gelten – die Notwendigkeit einer Königsherrschaft bestand nicht. Der Übergang von der Zeit der Richter zur Zeit der Könige war eine Folge der unberechenbaren Praktiken der Richter. Das Fehlverhalten der Söhne Samuels war die Ursache, dass das Volk nach einem König rief, wie andere Nationen ihn hatten: »Deshalb versammelten sich alle Ältes-
ten Israels und gingen zu Samuel nach Rama. Sie sagten zu ihm: Du bist nun alt, und deine Söhne gehen nicht auf deinen Wegen. Darum setze jetzt einen König bei uns ein, der uns regieren soll, wie es bei allen Völkern der Fall ist« (I Samuel 8,4-5). Und weiter: » ... der Herr sagte zu Samuel: Hör auf die Stimme des Volkes in allem, was sie zu dir sagen. Denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen: Ich soll nicht mehr ihr König sein« (I Samuel 8,7). Samuel versuchte, dem Volk das Beharren auf einem König auszureden, und schilderte die Nachteile der monarchischen Macht; das Volk aber ließ sich von seiner Forderung nicht abbringen: »Doch das Volk wollte nicht auf Samuel hören, sondern sagte: Nein, ein König soll über uns herrschen« (I Samuel 8,19).
Tatsächlich schrieb Maimonides im Hilchot Melachim (1,1), das Einsetzen eines Königs sei in der Anschauung von Rabbi Jose im Traktat Sanhedrin (20 b) das erste Gebot, das Israel beim Eintritt in das Land erfüllen muss. Darüber hinaus erwächst der Status des Königs – in dieser Interpretation – aus der Erkenntnis, dass es ein nicht zu missachtendes Bedürfnis darstellt, einen König zu haben. Und ein Versuch wurde unternommen, dem Königtum Eigenschaften zu verleihen, die denen des richterlichen Systems in der Bibel entsprachen, damit die Monarchie in Israel sich von der aller anderen Nationen unterschied.
Daher ist im Lichte der Tora der Wunsch nach einem König eine Bestimmung des Strebens nach einer menschlichen Herrschaft, die der Herrschaft des Herrn entspricht. Nur wer die Herrschaft des Himmels annimmt, indem er die Gesetze der Tora befolgt, kann völlige Freiheit erreichen, wie es in Midrasch Rabbah heißt: »Lies nicht harut (eingemeißelt – wie auf den Tafeln des Bundes), sondern herut = Freiheit.«
Das Annehmen der Herrschaft des Himmels verträgt sich auch gut mit dem Prinzip: »Sie sind mir Diener, keine Diener den Dienern« (Bava Metzia 10a). Herrschaft, die über die Macht verfügt, Gesetze durchzusetzen, die nicht unter die Rubrik der in der Tora niedergelegten Rechtsvorschriften fallen, wird sich früher oder später beflecken und verkommen. Daher muss Herrschaft den Gesetzen der Tora untergeordnet und entleert von Status und Macht sein.
Diese wichtige Botschaft ist für die Hohen Feiertage ganz besonders geeignet, wenn wir vor dem Gericht des Himmels stehen und die Herrschaft Gottes annehmen und so unsere Freiheit im Hinblick auf jegliche irdische Gewalt zum Ausdruck bringen.
Schoftim: 5. Buch Moses 16,18 bis 21,9
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fakultät für jüdische Studien der Bar-Ilan-Universität, Ramat Gan/Israel
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