von Alice Lanzke
Wer Anfang Mai bei »Kosher Deli« in der Berliner Goethestraße einkaufen wollte, stand vor verschlossener Tür: Maurice El-maleh hatte seinen Laden für eine Woche zugemacht, »aus Protest«, wie er sagt. Die Aktion war der vorläufige Höhepunkt eines Streits um die Versorgung mit koscherem Fleisch in der Stadt.
Diese Versorgung ist in Berlin zwar gut, aber nicht gerade günstig – koscheres Fleisch, also solches, das nach den jüdischen Speisegesetzen produziert wird, ist in der Herstellung viel aufwendiger und somit teuer. Es wird entweder unter strenger Aufsicht hierzulande geschächtet oder aus dem Ausland importiert, so etwa aus Großbritannien oder der Niederlande, wo es riesige Schlachthöfe gibt, die bei der Fleischproduktion die Kaschrut einhalten.
In Berlins ältestem koscheren Geschäft, dem »Schalom« in der Sybelstraße, kann man sich ein gutes Bild davon machen, was für koscheres Fleisch in der Stadt bezahlt werden muss: So kostet ein Kilo Huhn etwa sechs Euro, Putenschnitzel sieben Euro, Rinderhack schlägt mit 12 Euro pro Kilo zu Buche. Ähnlich tief muss man im »Pläzl« in der Passauer Straße und eben im »Kosher Deli« in den Geldbeutel greifen. Noch dazu ist der Markt für koschere Lebensmittel eher klein: Auf etwa 100 bis 120 Kunden schätzt Susanne Kalisch vom »Schalom« die Zahl der Berliner Gemeindemitglieder, die ständig koscher leben. Dazu kommen noch Kunden, die gelegentlich – zum Beispiel am Schabbat oder den Hohen Feiertagen – darauf achten, dass das Braten- oder Grillfleisch einen Kaschrut-Stempel hat.
Kein Wunder also, dass die Inhaber der koscheren Läden aufmerkten, als Gemeinderabbiner Yitshak Ehrenberg vor gut zwei Jahren ankündigte, Fleisch zum Einkaufspreis importieren zu wollen, um so auch hilfsbedürftigen Familien die Einhaltung der Kaschrut zu ermöglichen. »Am Anfang war ich schon erschrocken, obwohl ich die Unterstützung sozial Schwächerer ja für eine gute Idee halte«, erinnert sich Susanne Kalisch. Sie habe genau beobachtet, ob das Fleisch tatsächlich nur an Hilfsbedürftige verkauft werde, »schließlich führe ich einen Laden und kann keine Einkaufspreise anbieten«. Ihre Stammkundschaft sei allerdings geblieben.
»Ich habe die beste Qualität zu günstigen Preisen aus England und Irland organisiert«, erklärt Rabbiner Ehrenberg die Aktion. Mittlerweile musste er den Import einstellen, da er für den Verkauf ein Ge-
werbe hätte anmelden müssen.
Dennoch geht die Diskussion weiter und ist inzwischen weit über Ehrenbergs Importversuch hinausgewachsen: So wirft Maurice Elmaleh dem Ge-meinderabbiner vor, sein Geschäft kaputt machen zu wollen. »Wenn es so weitergeht, dann werde ich den Laden endgültig dicht machen müssen«, erklärt der Geschäftsführer des »Kosher Deli«. Ehrenberg würde innerhalb der Gemeinde erzählen, seine Ware sei nicht koscher. »Das stimmt nicht, er hat von sich aus gesagt, dass er von mir keine Kaschrut mehr bekommen will«, entgegnet der Rabbiner, der innerhalb der Gemeinde für die Einhaltung der Speisegesetze zuständig ist. Der Streit zwischen den beiden scheint sich nicht nur um koscheres oder nichtkoscheres Fleisch zu drehen, auch andere Aspekte spielen eine Rolle. »Der Konflikt zwischen Elmaleh und Ehrenberg ging sehr emotional zu, da fielen auf beiden Seiten die plumpesten Beschuldigungen«, fasst Benno Bleiberg, Kultusdezernent der Gemeinde zusammen.
Bleiberg stellt sich hinter den Rabbiner: Die jüdischen Speisegesetze seien eben nicht unbedingt nachvollziehbar und hätten mit Logik auch nicht immer viel zu tun: »Manchmal wirkt das wie Teesatzleserei.« Zudem habe es Probleme mit dem Fleisch gegeben, dass Elmaleh auch aus Polen importierte. »Da wurde eine Vertrauenskette gebrochen«, sagt Bleiberg. »Jahrelang war mein Fleisch in Ordnung und plötzlich soll es nicht mehr koscher sein«, erwidert Elmaleh, der einen Vertrag mit der Gemeinde hat und nun um seine Existenz fürchtet.
Auch Moishe Waks, ehemaliger Kulturdezernent und vormaliger stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, lässt das Argument nicht gelten: »Rabbiner Ehrenberg bringt immer neue Gründe, die einfach nicht mehr nachvollziehbar sind. Er wirft dem Vorstand einen Knochen hin, lässt ihn darauf herumkauen, und wenn der Knochen verdaut ist, wirft er den nächsten.«
Für Waks dreht sich der Streit nicht um das Fleisch, sondern um Macht – auch die Diskussion um den Schächter und Rabbiner Reuven Yaacobov, der mit Maurice El-
maleh zusammenarbeitet, ist für ihn un-
verständlich: »Rabbiner Ehrenberg findet den Schächter im Augenblick nicht ko-
scher genug, dabei wurde dieser doch auf sein Anraten nach Berlin geholt.« Würden der koscheren Fleischerei ihre garantierten Mengen nicht abgenommen, könne sie nicht weiter existieren.
Für Yitshak Ehrenberg besteht allerdings generell die Frage, ob in Deutschland geschächtet werden muss: »Hier kann man die Kaschrut kaum erreichen wie zum Beispiel in England.« Schlachte man zehn Tiere, so bekomme man gerade einmal zwei »glatt koscher«, also mit optimaler Qualität. »In den riesigen Schlachthöfen Englands oder anderer Länder macht das nichts, da wird das andere Fleisch einfach an Nichtjuden verkauft«, erklärt Ehrenberg. Hierzulande sei die Schächtung viel aufwendiger. »Es gibt heute so viele günstige Angebote, dass man nicht in Deutschland schächten muss.«
Daher ist Rabbiner Ehrenberg auch nicht vollständig mit dem Kompromiss einverstanden, der Ruhe in die Gemeinde bringen soll. Kultusdezernent Bleiberg erläutert: »Reuven Yaacobov war in München unter der Aufsicht des dortigen Rabbiners Steven Langnas zum Probeschächten. Wir warten nun noch auf eine Rückmeldung, dann könnte sich zur Kaschrut eine Kooperation zwischen Berlin und München anbahnen.« Für Ehrenberg keine adäquate Lösung: »Für unsere Schule wäre das Fleisch sicher in Ordnung, aber nicht für unser Restaurant, in das Leute aus aller Welt kommen, um koscher zu essen.« Auch er selbst würde dieses Fleisch nicht zu sich nehmen. Außerdem kritisiert der Berliner Gemeinderabbiner die Vorgehensweise: »Rabbiner Langnas hat das initiiert, ohne vorher mit mir zu sprechen. Das finde ich nicht in Ordnung.«
Ob nun also Ruhe in Berlins Fleischstreit einkehrt, bleibt abzuwarten. Kultus-dezernent Bleiberg setzt jedenfalls alle Hoffnungen auf die angestrebte Kooperation, die sich auch auf Frankfurt/Main erstrecken könnte – je größer die Zusam-
menarbeit werde, umso günstiger könne das Fleisch angeboten werden: »Schließlich hat koscheres Fleisch mit Wettbewerb nichts zu zun.«