Die ersten Verse des Wochenabschnitts Ekew sind nicht sehr gut geeignet für hoffnungsvolle interreligiöse Gespräche. Es geht um Sieg für Israel und Niederlage – ja Auslöschung – für alle anderen, zumindest für die Gegner Israels. In der damaligen Zeit waren Konzepte wie »Neutralität« fast unbekannt. Man war entweder dafür oder dagegen. Wer ist für uns, und wer ist gegen uns? Dazwischen gab es keinen Raum.
Und so wird Gott hier auch beschrieben. Wer Seine Gnade verdient hat, wer Ihm einen Gefallen tun möchte, dem wird es gut gehen. Die Bösen hingegen werden bestraft und vernichtet. So wie es sich gehört nach den Verheißungen Gottes: »Du sollst aber die Völker aufreiben, die der Ewige, dein Gott, dir preisgibt. Dein Auge blicke nicht voll Mitleid auf sie; diene ihren Göttern nicht« (5. Buch Moses 7,16).
Wenn es nur so einfach wäre! Aber die Welt ist kompliziert, nicht schwarz-weiß. Wie kann man diese Versprechungen mit der Wirklichkeit, mit unserer grausamen Geschichte in Einklang bringen? Selbstkritik ist wichtig, wird empfohlen, sogar befohlen. Aber ist Selbstkritik und ein Verzicht auf das Böse wirklich genug?
Wir stehen hier vor schwerwiegenden theologischen Fragen. Das Judentum hat mit Theologie relativ wenig am Hut. Wir haben Mizwot und Gebete. Und wir singen Psalmen und Lieder, die theologische Konzepte enthalten. Die Art, wie man lebt, ist im traditionellen Judentum wichtiger, als die Art, wie man denkt. Das kann so weit gehen – für mich zu weit –, dass es wichtiger wird, dass man betet, als was man betet.
Es kann sein, dass die große Mehrheit der Beter in unseren Synagogen wenig Ahnung hat von dem, was in den Gebeten steht. Die hebräischen Gebete werden rasend schnell runtergemurmelt. Einige Beter wissen, wann sie »Amen« sagen sollen, aber nicht, welchem Gedanken sie mit ihrem »Amen« zugestimmt haben. Dass heute Gebetbücher erscheinen, in denen die Transkription wichtiger erscheint als die Übersetzung, ist ein interessantes Zeichen dafür.
exklusivität »Weil ihr diese Rechtsvorschriften annehmt und nach ihnen handelt, wird der Ewige euch schützen und den Bund halten und euch dafür belohnen, wie Er es euren Vätern versprochen hat« (5. Buch Moses 7,12). Wie üblich, soll man natürlich den Kontext anschauen und hier die Frage »Welche Rechtsvorschriften?« stellen. Die finden wir im 5. Buch Moses 7, 1-11. Dort steht, man soll mit den Völkern im Land kein Bündnis schließen, man soll sie gänzlich vertreiben, man soll sie ausrotten. Aha! Es geht also um Politik und nicht nur um Riten und Gebete. Allein so können die Israeliten Frieden und Reichtum, Stabilität und Fruchtbarkeit genießen. »Gesegnet wirst du sein vor allen Völkern; es wird niemand unter dir unfruchtbar sein noch unter deinem Vieh; der Ewige wird jede Krankheit von dir fernhalten« (7,14).
Aus diesem Text kann man also davon lesen, dass nur eine einzige ethnische Gruppe – die Israeliten – im Land wohnen sollen, dem Land, das ihnen von Gott zugesprochen worden ist. Nur dann wird es Frieden und wirtschaftlichen Erfolg geben.
Mein Problem mit diesem Text ist: Wie soll ich das heute verstehen? Als Rabbiner, in Deutschland, in Europa, einem Kontinent, der schon mehrmals unter solchen Ideen gelitten hat? Denken wir nicht nur an Länder, die »judenrein« geworden sind, sondern auch an den Balkankrieg, nachdem Kroaten, Slowenen, Serben, Bosnier und andere entschieden hatten, nicht mehr in einer multiethnischen jugoslawischen Republik zu leben. Und gerade bei der jüngsten Europawahl Anfang Juni sind in vielen Ländern Parteien gewählt worden, die die gleiche Botschaft in ihre Parteiprogramme aufgenommen haben: »Ungarn den Ungarn!«, »Frankreich nur für Franzosen!«, »England für die Engländer und raus aus Europa!« Solche Parolen hört man neuerdings immer häufiger.
spaltung Hat man aus der Geschichte gelernt? Anscheinend nur wenig. Sind Staaten ohne ethnische Minderheiten immer glücklich und friedlich? Oder findet man trotzdem Unterschiede zwischen den sozialen Klassen, zwischen den »Kasten«? Einige gelten als höher, man schaut auf die Geburt und nicht auf die persönliche Qualifikation. Ist ein Land, das ausschließlich von Schiiten oder Sunniten bewohnt ist, ausschließlich von Katholiken oder Protestanten wirklich ein Paradies auf Erden?
Völker spalten sich immer – sogar die Israeliten werden das tun: Die einen bleiben auf der Ostseite des Jordans, die anderen im Westen, später wird es das Nord- und das Südreich geben, Israel und Jehuda. Dann werden Sadduzäer und Pharisäer und andere Splittergruppen auf den Plan treten, später Aschkenasim, Sefardim und Eydot Misrach und jetzt sogar »Anglosachsim« und Sabras, zwei neue Kategorien.
Man kann Argumente verstehen, nach denen es sich lohnt, wenigstens einige Gründe für Konflikte auszuräumen – aber wo sind die Grenzen? In der schlimmen Zeit von »Deutschland den Deutschen« galten manche allein wegen eines Großelternteils plötzlich nicht mehr als Deutsche, oder wurden ausgegrenzt, weil sie Intellektuelle waren oder eine andere politische Meinung vertraten, oder weil sie behindert waren. Es gab damals viele Gründe, ausgewiesen und ermordet zu werden.
Die Verse 19 und 20 im achten Kapitel des 5. Buches Moses drohen denjenigen Israeliten mit Vernichtung, die eine eigene Meinung haben. Mein Rat: Vorsicht mit solchen Texten, auch wenn sie in der Tora stehen. Sie enthalten zwar eine Wahrheit, aber nicht die einzige Wahrheit.