von Wladimir Struminski
Am Jerusalemer Kabinettstisch herrschte seltene Einigkeit. Mit 19 Ja-Stimmen beschloss die Ministerrunde vergangene Woche, den gegen die Hamas-Regierung verhängten Boykott auch gegenüber dem neuen palästinensischen Einheitskabinett aufrechtzuerhalten (vgl. S. 11). Zwei Ressortinhaber enthielten sich der Stimme: Erziehungsministerin und Friedensaktivistin Juli Tamir sowie Israels erstes moslemisches Regierungsmitglied, Wissenschaftsminister Raleb Madschadle. Zu offener Befürwortung von Gesprächen mit den palästinensischen Kollegen konnten aber auch sie sich nicht durchringen. Der Beschluss bedeutet auch, dass Israel seine wirtschaftlichen Sanktionen gegen die palästinensische Regierung nicht lockern wird. Der Grund für die harte Linie: Nach israelischer Lesart ist das neue Einheitskabinett, in dem nicht nur Hamas-Politiker, sondern auch einige Vertreter der Fatah-Bewegung von Präsident Mahmud Abbas sitzen, ein Spielball der Fundamentalisten. »Abu Masen (Abbas) und die Fatah haben sich die Ideologie und die Forderungen der Hamas nahezu vollständig zu eigen gemacht«, heißt es im Außenministerium.
Wie das Vorgängerkabinett wird auch die Einheitsregierung vom Hamas-Politiker Ismail Hanija angeführt. Zudem sind die meisten Minister noch immer Anhänger der Hamas. Die neuen Regierungsrichtlinien signalisieren die alte Unnachgiebigkeit gegenüber dem jüdischen Staat. So heißt es unter anderem: »Die Regierung bekräftigt, dass alle Formen des Widerstands, einschließlich des Widerstands der Volksmassen gegen die Besatzung, das legitime Recht des palästinensischen Volkes sind.« Nun gehören für die Hamas ebenso Selbstmordattentate zum legitimen Widerstand, wie aus ihrer Sicht Israels international anerkanntes Staatsgebiet Teil des besetzten Palästinas ist. Folgerichtig wird die Gründung eines palästinensischen Staates in allen von Israel 1967 besetzten Gebieten als »das erste Recht« der Palästinenser, nicht aber als Endzustand bezeichnet. Soll heißen: Nach der Staatsgründung in Gasa und dem Westjordanland darf der Kampf weitergehen. Zugleich soll Israel durch das von der neuen Regierung geforderte uneingeschränkte Rückkehrrecht der Palästinaflüchtlinge demontiert werden.
Für Abbas gilt der Boykottbeschluss indessen nicht. Israel kann sich sogar vorstellen, mit ihm über Frieden zu verhandeln. Dazu rief der Verteidigungsminister und Chef der Arbeitspartei, Amir Peretz, die Regierung ausdrücklich auf. Ministerpräsident Ehud Olmert wiederum will der Aufforderung von US-Außenministerin Condo- leezza Rice folgen, sich alle zwei Wochen mit Palästinenserpräsident Abbas zu Gesprächen zu treffen. Zumindest lässt die palästinensische Einheitsregierung die Möglichkeit offen, dass ein Friedensvertrag mit Israel dem palästinensischen Parlament zur Ratifizierung vorgelegt wird. Dort aber hat die Hamas eine Mehrheit und könnte jedes Abkommen zu Fall bringen. Israel stellt sich auch auf eine militärische Konfrontation mit den Palästinensern ein.