von Rudolf Balmer
Nach den neuesten antisemitischen Provokation der rassistischen Bande »Tribu Ka« im Pariserviertel Marais wird wieder über die Jüdische Verteidigungsliga diskutiert. Brauchen die jüdischen Geschäftsleute und Falafel-Verkäufer in der Rue des Rosiers vielleicht doch den Schutz einer Organisation, die notfalls bereit ist zu- oder zurückzuschlagen? Oder hat die »Ligue de défense juive« (LDJ) mit ihren eigenen gewaltsamen Auftreten selber das unerhörte bedrohliche Auftreten der Antisemiten im Marais provoziert?
Die Zunahme antisemitischer Aggressionen hat die Schwächen der französischen Gesellschaft aufgedeckt, in einem Land, das allen seinen Bürgern Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit verspricht. Die französische Regierung war bislang nicht in der Lage, jüdische Bürger und Bürgerinnen gegen rassistisch oder politisch motivierte Übergriffe zu schützen. Seit dem Beginn der zweiten Intifada 2000 haben die Spannungen zwischen den Juden und den Muslimen zugenommen. Friedhofschändungen, Beschimpfungen und tätliche Angriffe sind an der Tagesordnung. Antisemitische Gehässigkeiten wie »sale juif!« sind in den Wohnsilos der Vorstadtsiedlungen, wo früher Juden und muslimische Immigranten problemlos zusammenlebten, zu völlig alltäglichen Schimpfwörtern im Jargon der Jugend geworden. Kriegsbilder vom israelisch-palästinensischen Konflikt im Fernsehen verstärken darüber hinaus den Antisemitismus. In dieser für Juden unsiche- ren Situation tritt die rechtsextreme »Ligue de défense juive« auf und verspricht Schutz und Rache.
Unbehelligt von der Öffentlichkeit lieferten sich die gewaltbereiten »Tribu Ka« und die jüdische Verteidigungsliga bereits seit Monaten Wortgefechte im Internet. Daß die gegenseitige Bedrohung und Beschimpfung eines Tages in handfesten Zusammenstößen eskalieren wird, erscheint unvermeidlich. Dennoch schreitet die franzö- sische Regierung nicht ein. Und obwohl paramilitärische »Milizen« jeder Art in Frankreich verboten sind, wird die LDJ bisher toleriert.
Nach den antisemitischen Provokationen im Marais lobte sogar die Polizei-Gewerkschaft CFTC Anfang Juni die LDJ und ihre linksgerichtete Jugendgruppe Betar, sie hätten beim Schutz der jüdischen Gemeinschaft »eine Mission im Dienste der Öffentlichkeit geleistet«.
Hinzu kommen die guten Verbindungen zu führenden französischen Politikern. So unterhält die politisch weit rechtsstehende LDJ gute Kontakte zum ultrakonservativen Philippe de Villiers, der einen Kreuzzug gegen die »Islamisierung« Frankreichs führt. LDJ-Mitglieder traten schon als Ordnungsdienst für den Rechtspopulisten de Villiers in Erscheinung.
Die Jüdische Verteidigungsliga wurde in Paris 2001 nach dem Vorbild der amerikanischen Jewish Defense League des rechtsradikalen Rabbiners Meir Kahana gegründet und zählt heute in Frankreich etwa 50 bis 100 Mitglieder. Während die JDL in den USA und in Israel verboten ist, ist sie in Frankreich weder als Institution anerkannt noch verboten.
Der 36jährige Simon, einer der Verantwortlichen der LDJ, bestreitet, daß seine Gruppe eine direkte Verbindung zur Jewish Defense League in den USA hat. »Wir sind aber auch kein Ferienklub«, sagt er und weist darauf hin, daß die LDJ-Mitglieder mindestens zweimal in der Woche die Nahkampftechnik »Krav Maga« trainieren. Auch andere jüdische Organisationen in Frankreich, wie die politisch linksstehende jüdische Studentenorganisation UEJF, praktizieren diese äußerst offensive Nahkampftechnik. Ihr israelischer Gründer beschreibt sie als Kampftechnik, die »keine Gesetz, keine Limits, keine Verbote« kennt. »Alle Schläge sind erlaubt.« Ihr Erkennungszeichen ist die gelbe Faust auf einem schwarzen Davidstern und gelbem Feld.
Wo diese Fahne auftaucht, droht Gewalt. So wurden auch am Rande friedlicher Demonstrationen Araber und Schwarze von mutmaßlichen LDJ-Mitgliedern tätlich angegriffen. Wiederholt intervenierte die LDJ bei Buchmessen gegen antizionistische Autoren. Die erklärten »Erzfeinde« der LDJ sind die in Frankreich zahlreichen offen propalästinensischen Gruppierungen, wie die Antirassismusorganisation MRAP (Mouvement contre le Racisme et pour l’Amitié des Peuples), die seit einem Angriff auf ihren Generalsekretär Mouloud Aounit ein Verbot der LDJ verlangt.
Die LDJ setzte mehrfach jüdische und nichtjüdische Journalisten sowie Rundfunk- und Fernsehsender wegen ihrer Berichtserstattung über und aus Israel massiv unter Druck. Juristische Folgen hatte dies bislang nicht. Nur in einem Fall wurde ein bekannter LDJ-Aktivist 2004 wegen vorsätzlicher Körperverletzung bei einer Auseinandersetzung mit propalästinensischen Gegnern zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
»Das Schändliche existiert überall, auch in der jüdischen Welt«, schreibt der Philosoph Alain Finkielkraut. »Ich habe diese kleinen Faschisten verurteilt, die sich berechtigt fühlten, so etwas wie Razzien gegen Araber zu organisieren.« Dieses marginale Phänomen verdiene es jedoch nicht, daß die Medien dafür eine so lärmende Werbung veranstalten, versucht Finkielkraut die Aktivitäten der LDJ zu banalisieren.