von Sabine Brandes
Sanft schaukelt die kleine Jolle von Jamal auf den Wellen am malerischen Hafen. Versunken schaut der Bootsmann in Richtung Horizont, die Hände über dem Steuerrad verschränkt. Der Sonnenuntergang ist nahe. 20 Schekel kostet die halbstündige Fahrt entlang der Hafenmauer. An Ferientagen wie diesem würden die Ausflügler normalerweise Schlange stehen, um eine Runde auf Jamals Schiff zu drehen. Heute aber stört niemand seine Ruhe. Kein Tourist wagt sich mehr nach Akko.
Die kleine, hübsche Stadt scheint eine völlig andere zu sein, als noch vor wenigen Tagen. Was sonst lebendig und laut, ist heute verhalten und still. Eilig huschen die Menschen durch die engen Gassen der Altstadt, niemand will sich länger als nötig draußen aufhalten. Akko, am nördlichen Zipfel der Bucht von Haifa gelegen, war sechs Jahrzehnte lang ein Beispiel an Ko-existenz – zumindest oberflächlich. Araber und Juden lebten Seite an Seite in denselben Vierteln. Vergangenen Jom Kippur aber wurde alles anders.
Als ein arabischer Mann am höchsten jüdischen Feiertag mit seinem Pkw durch die Stadt fuhr, brach die Hölle los in Akko. So beschreiben es Bewohner und Sicherheitskräfte gleichermaßen. Steine flogen, Barrikaden brannten, Araber und Juden, bis zu diesem Moment Nachbarn, wurden zu Feinden und gingen mit unbändiger Wut aufeinander los. Tausende Polizisten riegelten die Stadt ab. Fast fünf Tage und Nächte lang tobten die gewalttätigen Unruhen. Das Fazit: Dutzende Verletzte und Festgenommene, zerbrochene Scheiben, ausgebrannte Häuser und Autos, ein abgesagtes Theaterfestival und ein zerborstener Traum vom gemeinsamen Leben in Frieden.
Es ist nicht das erste Mal, dass Gewalt in gemischten Städten losbricht. Im Jahr 2000, während der zweiten Intifada, regierte in vielen nördlichen Orten mit arabischer Bevölkerung die Gewalt. Traurige Bilanz waren damals 14 Tote und viele Verletzte. Es brauchte Jahre, bis sich die Stimmung zwischen den Gruppen wieder einigermaßen normalisierte.
Die arabischen Bewohner Akkos haben allesamt israelische Pässe. Viele Familien leben seit 1948 hier, in den letzten Jahren zogen zudem immer mehr junge Leute aus den Dörfern Galiläas in die Stadt. »Eigentlich lebten wir hier ganz gut zusammen«, meint ein etwa 50-jähriger Mann, der »schon immer« in der Altstadt wohnt und sich Machmud nennt. »Aber die Politiker haben die arabischen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten immer mehr vernachlässigt und sich nur um die Juden gekümmert.« Dass das die Wut, vor allem bei arabischen Jugendlichen schüre, findet Machmud verständlich. Tatsächlich sind Arbeitslosigkeit und Armut bei dieser Bevölkerungsgruppe innerhalb der gemischten Städte wie Haifa, Akko, Lod oder Ramle überdurchschnittlich hoch.
Besonders hart getroffen hat die Araber zudem die Absage des israelischen Theaterfestes, der kulturelle Höhepunkt eines jeden Jahres. Vor allem die Araber in der Altstadt profitieren von den Tausenden Theaterfans. »Es ist keine Zeit für Feste«, sagte Bürgermeister Schimon Lankri. Machmud hält das für eine völlig falsche Entscheidung: »Das hätten sie nicht ma-
chen sollen, das frustriert die Menschen nur noch mehr.«
Dabei könnte alles so schön sein: Ob-
wohl Akko wahrlich keine reiche Stadt ist, zieht der Charme der alten Kreuzritterbastion seit jeher Besucher aus dem In- und Ausland an. Der historische Teil scheint wie ein Freiluftmuseum mit seinen zahllosen Bauten und Artefakten. An den Wochenenden schoben sich oft Massen von Menschen durch die malerischen Gässchen, ließen die Kassen der Verkäufer klingeln.
Auch kulinarische Pilger kennen Akko bestens. Der Humus von Abu-Said gilt als der köstlichste im ganzen Land, viele kommen aus Tel Aviv und sogar Jerusalem angereist, um sich die Kichererbsenpaste schmecken zu lassen. Auf dem kunterbunten Markt unterhalb der historischen Stadtmauer kommen Gewürz- und Kräuterliebhaber immer auf ihre Kosten. Haupt-
attraktion aber sind die imposanten Anlagen der Kreuzritter, die zum Weltkultur-erbe der Vereinten Nationen erklärt wurden. Heute sind auch sie menschenleer.
Dalia Amar hat mit den Ausschreitungen nicht gerechnet. »Gerade in der letzten Zeit war es so vielversprechend bei uns«, sagt die jüdische Frau aus dem gemischten Stadtteil Wolfsohn. »Es ist viel investiert worden, und es kamen immer mehr Menschen zu Besuch.« In der Tat hatte sich das Städtchen ungemein herausgeputzt, neue Broschüren gedruckt, Touristen von nah und fern eingeladen.
Wann die sich allerdings wieder hierher wagen werden, ist völlig offen. Zwar bemühen sich derzeit verschiedene Gruppen und Friedensaktivisten, die Menschen wieder zu versöhnen, doch das wird dauern, da sind sich alle einig, vielleicht sogar Jahre. Frau Amar ist traurig. »Ich will meine Nachbarn nicht hassen und will auch nicht, dass sie mich hassen. Ich möchte hier nur ganz normal leben, ohne Angst davor zu haben, auf die Straße zu gehen.«
Führende Politiker fürchten einen Flächenbrand und ein Übergreifen auf andere Städte. Der noch amtierende Ministerpräsident Ehud Olmert und andere Politiker haben die Bevölkerungsgruppen zur Ruhe aufgerufen. Zuletzt besuchte Außenministerin Zipi Livni die Stadt und rief zur Gemeinsamkeit auf. »Wir müssen uns jetzt umarmen«, appellierte sie.
Unterdessen kam es in Jerusalem am Wochenende zu mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen. Sechs arabische Jugendliche wurden dabei leicht verletzt. Die Polizei nahm drei junge Juden vorübergehend fest. Bei einem anderen Zwischenfall bewarfen orthodoxe Juden am Sonntagvormittag einen arabischen Fahrer eines Müllfahrzeuges der Stadtverwaltung mit Steinen. Der Mann kam ins Krankenhaus.