»Sergej nimmt die Tabletten nicht mehr«, verkündet Irina Galina. Juri Feldman atmet tief durch. Bestimmt aber freundlich sagt er der 55-Jährigen: »Sie können die Medikamente nicht einfach absetzen. Wenn Sie die Diagnose nicht verstehen, kann ich sie Ihnen gern übersetzen.«
Viele Zuwanderer kommen mit ihren Problemen zu dem Arzt in die medizinische/pharmazeutische Beratungsstelle der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Stuttgart (IRGW). Sie fragen nach den Auswirkungen ihrer Krankheit, lassen sich Diagnosen oder Nebenwirkungen von Medikamenten erklären. Denn die meisten ver- stehen die Erklärungen der Ärzte nicht. Hier kommt Juri Feldman zu Hilfe.
»Seit vielen Jahren bieten wir in der Gemeinde der IRGW russischsprachige Beratung und Information an«, sagt Feldman. Wir, das ist ein Kreis von Fachärzten, ein Homöopath, ein Pharmazeut und ein Heilpraktiker. Natürlich darf das ehrenamtlich tätige Team nicht wirklich praktizieren. Es fungiert eher als Dolmetscher und medizinisch-therapeutische Beratung. Und dafür zahlen die Rat- und Hilfesuchenden keinen einzigen Euro.
Juri Feldman kam 1993 mit seiner Familie von St. Petersburg nach Deutschland. Auch er sprach damals kein Wort Deutsch. Heute kann sich der 70-Jährige problemlos in beiden Sprachen verständigen. Die Muttersprache Russisch ist auch außerhalb der IRGW nützlich: Der Psychiater arbeitet bei der Waiblinger Suchtberatung mit drogen- und alkoholabhängigen russischsprachigen Menschen. Ähnlich er- folgreiche Biografien haben seine Kollegen, die je nach Alter noch praktizieren oder sich im Ruhestand befinden.
»In unserer Gemeinde liegt der Anteil von Älteren bei 50 Prozent, viele haben es nicht mehr geschafft, sich in der deutschen Sprache so sicher zu bewegen, dass sie bei einem Arztbesuch alle Details auch wirklich verstehen«, sagt Feldman. Auch sähen manche Einwanderer Deutschland als medizinisches Wunderland. »Natürlich gibt es hier bessere Medikamente als in Russland, doch chronische Krankheiten sind auch hier selten heilbar«, sagt der Mediziner. »Das können und wollen nicht alle Patienten verstehen.«
Voll Dankbarkeit und Wärme spricht der Wahl-Stuttgarter vom herzlichen Kontakt seiner Kollegen zu ihren »Patienten«. Jeder von ihnen steht an einem bestimmten Tag in der Woche in der IRGW als Ansprechpartner zur Verfügung. Vier bis fünf Patienten pro Woche suchen regelmäßig bei ihm Rat, acht bis zehn Patienten hat die HNO-Fach-Medizinerin zu verarzten. Sehr problematisch ist auch die Behandlung dementer Menschen, wenn sie sich mit ihren Ärzten nicht verständigen können. Einige Teamkollegen machen Hausbesuche, andere bieten nebenher auch telefonische Beratung. Feldman beispielsweise dolmetscht im örtlichen Krankenhaus für Psy- chiatrie und Neurologie. Eklatanter Mangel herrscht bei den Augenärzten – kein Stuttgarter Augenarzt spricht Russisch.
»Jetzt suchen wir für unser Team neben einem Augenarzt vor allem einen erfahrenen Orthopäden«, sagt Feldman. Bis dieser gefunden ist, hofft Feldmana auch einen festen Raum als Beratungszimmer gefunden zu haben. Bisher sind die Helfer im Gemeindezentrum tätig.
Ärzte können sich telefonisch bei Juri Feldman melden: 0711/4204434.