Ärzte
hinter Gittern
Mediziner sollen illegale Versuche an Alten
durchgeführt haben
von Sabine Brandes
Vier Top-Ärzte sind vergangene Woche in Israel unter dem Verdacht der illegalen medizinischen Experimente festgenommen worden. In mindestens einem Fall werden die Mediziner der Krankenhäuser Kaplan in Rechovot und der Hartzfeld Geriatrie in Gadera der fahrlässigen Tötung beschuldigt. Die Vorwürfe beinhalten zudem den Mißbrauch von hilflosen Patienten, schwere Körperverletzung, Betrug sowie das Fälschen von Dokumenten, erklärte die Polizei nach den Festnahmen.
Der TV-Kanal 2 berichtete, daß es sich bei einer Patientin um eine Auschwitz-Überlebende gehandelt hat. Der Frau soll im Jahr 2003 durch den Bauch Urin entnommen worden sein – ohne jegliche Zustimmung von ihr selbst oder einer ihrer Angehörigen. An der Infektion, die durch das Experiment verursacht wurde, starb die 84jährige schließlich.
Auf der Anklagebank sitzen neben dem stellvertretenden Leiter der Kaplan-Klinik, Schmuel Levi, zwei Ärztinnen und ein weiterer Arzt. Aufgedeckt worden ist der Skandal im Sommer des vergangenen Jahres durch die Tageszeitung Haaretz. Die darauffolgende Untersuchung des Gesundheitsministeriums brachte zutage, daß wahrscheinlich Tausende, vornehmlich alte und demenzkranke Menschen, Opfer dieser illegalen und unethischen Versuche geworden sind. Bei einem Experiment sollen zwölf Patienten noch während der Untersuchungen oder kurz darauf verstorben sein.
Im Laufe der polizeilichen Untersuchung wurden die Wohnhäuser der Ärzte durchsucht, sowie stapelweise Dokumente sichergestellt. Aufgrund der Schwere der Vorwürfe ist der Fall dem nationalen Betrugsdezernat übertragen worden. »Denn die kennen sich bestens mit der ›Weißen-Kragen-Kriminalität’ aus«, so Untersuchungsleiter Yochanan Danino.
Es ist nicht der erste und einzige Skandal dieser Art. Erst im Juli berichteten israelische Medien über medizinische Experimente im Meir Krankenhaus der Klein-
stadt Kfar Saba. Hier sollen von 2001 bis 2003 Professor Mordechai Ravid und fünf weitere Ärzte illegale Untersuchungen an mehr als 60 Frauen mit Diabetes vorgenommen haben. Die meisten der Frauen waren arabischer Herkunft. Auch in diesem Fall sind die Experimente ohne Zustimmung des Komitees des Krankenhauses zur Überwachung von Versuchen an Menschen sowie der Patienten vorgenommen worden. Bekanntgeworden war das skandalöse Vorgehen, als ein Artikel über die Experimente in dem britischen Journal »Diabetic Medicine« veröffentlicht wurde. Die Verantwortlichen des Journals hatten damals nicht gewußt, daß es sich um illegale Untersu-
chungen handelte.
Kurz zuvor hatte der damalige staatliche Kontrolleur Eliezer Goldberg dem Gesundheitsministerium grobe Nachlässigkeit bei der Kontrolle der Krankenhäuser vorgeworfen. Das Ministerium habe acht Jahre gebraucht, um Gesetze auf den Weg zu bringen, durch die Versuche an Patienten strenger überwacht werden können. Die skandalösen Vergehen, so Goldbergs Bericht, seien vor allem in den Be- reichen Geriatrie, Rehabilitation und der Psychiatrie aufgetreten, wo die Patienten oft am hilflosesten seien.
Weiter berichtet Goldberg, daß die Hartzfeld Geriatrie Papiere vorlegte, in denen eine 91jährige und eine 101jährige den Versuchen angeblich zugestimmt hatten. Unterschriften von Angehörigen aber waren nicht zu finden. In Fällen einiger demenzkranker Patienten fehlten die Unterschriften allesamt, hier sei lediglich ein Tinten-Fingerabdruck zu sehen. Es liege nahe, daß diese Fingerabdrücke gegen den Willen der Patienten genommen worden sind, so der Bericht des Kontrolleurs.
Die Ärztevereinigung Israels verlangt jetzt zusätzlich zu den Komitees der einzelnen Krankenhäuser die Einrichtung eines Komitees für das ganze Land, das die ethischen und legalen Voraussetzungen für menschliche Experimente überwacht.