von Tobias Müller
Sogar der König und seine Gemahlin haben sich angesagt. Dass Albert II. und Gattin Paola am 16. November in Brüssels Großer Synagoge erwartet werden, hat einen guten Grund: Das Consistoire Central Israélite de Belgique (CCIB) feiert sein 200-jähriges Bestehen. Das Zentralorgan der jüdischen Gemeinden im Land ist damit älter als das Königreich selbst. Dass dessen höchster Repräsentant erstmals einer Veranstaltung des CCIB beiwohnt, ist durchaus als Zeichen der Wertschätzung zu verstehen.
Historischer Grundstein des Consistoire war im März 1808 ein Dekret Napoleons, zu dessen Kaisserreich das heutige Belgien damals gehörte. Damit wurden die jüdischen Gemeinschaften des Landes erstmals offiziell anerkannt und repräsentiert. Dieser Status blieb auch in den wechselvollen Folgejahren erhalten: Zwischen 1815 und 1830, als Belgien zu den Niederlanden gehörte, vertrat zunächst die »Hauptsynagoge« die jüdischen Gemeinden. Nach der Unabhängigkeit des Landes schließlich gründeten einige aus Deutschland emigrierte Juden um Adolphe Oppenheim und Sigmund Benda das Konsistorium in seiner heutigen Form. Ein königlicher Beschluss vom Mai 1832 verlieh ihm die offizielle Anerkennung. Auch am Entwurf der damals liberalsten Verfassung Kontinentaleuropas war die Gruppe um Oppenheim und Benda beteiligt gewesen. Die im Geist der Aufklärung festgeschriebene Gewissens, Versammlungs und Religionsfreiheit ließen das jüdische Leben Belgiens aufblühen. Ein weiterer Erlass des Palasts bestätigte den CCIB 1871 als Dachorganisation der fünf Synagogen in Brüssel, Antwerpen, Lüttich, Gent und Arlon.
Inzwischen sind daraus 17 Gemeinden geworden. Doch die Funktion des Consistoire Israélite ist unverändert: Es repräsentiert die Gesamtheit des belgischen Judentums gegenüber dem Staat und dient dessen Institutionen als Ansprechpartner. Unter seinem Dach finden sich moderne und traditionelle, orthodoxe wie liberale Strömungen. Aufgrund dieser Vielfalt bezeichnet man sich in der Festschrift zum 200-jährigen Bestehen selbst als »Schaufenster und Wortführer« jüdischen Lebens in Belgien. Darüber hinaus versteht sich die Dachorganisation nach wie vor als Symbol der Integration jüdischer Bürger in die demokratische Gesellschaft und ihrer Gleichstellung mit anderen Religionsgruppen.
Erweitert haben sich seit 1945 die Aktivitäten des Consistoires auf kulturellem und pädagogischem Gebiet. Dazu zählen jüdischer Religionsunterricht in Grund- und weiterführenden Schulen, die Unterstützung jüdischer Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie der Erhalt jüdischen Kulturerbes im Jüdischen Museum in Brüssel. Auch die »Stiftung zeitgenössischer Erinnerung« zur Dokumentation des belgischen Judentums geht auf eine Initiative des CCIB zurück.
Daneben zeigt das Consistoire durch den interreligiösen Dialog Präsenz in gesellschaftlichen Diskussionen. Ähnlich anderen westeuropäischen Ländern kennt auch Belgien zunehmenden Antisemitismus unter muslimischen Migranten. Demgegenüber stehen die Versuche des rechtsextremen Vlaams Belang, die belgischen Juden als Bündnispartner im Kampf gegen die Islamisierung des Landes zu vereinnahmen.
»Eine bedrohte Oase inmitten einer turbulenten Gesellschaft? Eine wehrlose Insel in unsicherer Umgebung? Oder gerade ein Musterbeispiel dafür, dass gutes Zusammenleben keine Illusion sein muss?« Nachdenklich fällt die Standortbestimmung des belgischen Judentums für Julien Klener, den Vorsitzenden des CCIB, aus. Generalsekretär Michel Laub betont die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit jüdi- schen wie nichtjüdischen Organisationen zur Verteidigung demokratischer Werte. Dem zunehmend von Spaltungsgelüsten und aggressiven Partikularnationalismen gebeutelten Belgien können solche Bekenntnisse nur guttun.