von Ingo Way
Der Altersdurchschnitt liegt unter 30, und etwa zwei Drittel der Besucher sind weiblich. Die Zusammensetzung des Publikums beim 2. internationalen Pornfilmfestival Ende Oktober in Berlin bestätigt so gar nicht das Klischee vom typischen Pornokonsumenten, der sich männlich, fett und verschwitzt durch die Schmuddelabteilungen der Videotheken drückt. Gezeigt werden auf dem Festival Kunst, Independent und Avantgarde – ohne den expliziten Charakter der Filme zu leugnen. Nur Durchschnittsware dürfe es eben nicht sein, sagt Festivalorganisator Jürgen Brüning.
Kein Durchschnitt ist Porno made in Israel. Im Kreuzberger Eiszeit-Kino beschäftigen sich gleich zwei Vorträge mit Sexfilmen aus dem jüdischen Staat. Liad Kan- torowicz spricht über »Soziale und politische Tabus in israelischer Pornografie«. Die kleine Frau in Hippiekleidung stellt sich als »Pro-Sex-Aktivistin« vor; ihr Thema ist – wie bei vielen linken Israelis – die »Gewalttätigkeit« der israelischen Gesellschaft. (»Natürlich ist die palästinensische Gesellschaft ebenso gewalttätig, nicht dass Sie denken, ich sei voreingenommen gegen Juden.«) Vier gesellschaftliche Spannungsfelder werden anhand von Filmbeispielen behandelt: das Militär; das Verhältnis zwi- schen Israelis und Palästinensern; jüdische Minderheiten; und schließlich das Verhältnis zwischen Religiösen und Säkularen.
Erst seit fünf Jahren gebe es eine reguläre Pornoindustrie in Israel, die im Wesentlichen aus fünf Firmen bestehe, die recht amateurhafte Streifen produzierten, berichtet Kantorowicz. Der Reiz der Pornografie in einem so kleinen Land bestehe nicht zuletzt in der Neugier, ob man womöglich jemanden wiedererkenne. Thematisch spiele das Militär eine große Rolle – in einem Land, in dem Frauen wie Männer Militärdienst leisten müssen, nicht verwunderlich. Ein Beispiel ist der Film Stranded at the Military Base, in dem erstaunlich gut aussehende Darsteller, die unter ihren Uniformen nichts tragen, die Langeweile des Militäralltags auf ihre Weise totschlagen. Zu den hebräischen Dialogen lesen Kantorowicz und ihre Assistentin Maya Ne’emani eine englische Übersetzung ein, was für große – und durchaus intendierte – Heiterkeit sorgt.
Das zweite große israelische Tabu – der Konflikt mit den Palästinensern – äußert sich in der Ambivalenz gegenüber dem gleichermaßen verhassten wie begehrten Fremden. Darstellungen von Arabern in Pornos sind dementsprechend sehr beliebt. Weil es aber schwierig ist, echte pa-lästinensische Darsteller zu finden, werden Araber in Filmen mit Titeln wie Tunisian Sandwich, The Horny Muezzin oder Shaved Arab Pussies meist von Israelis gespielt.
Ebenfalls von Fremddarstellern gemimt sind auch die Pornos, in denen ultraorthodox gekleidete Juden auftauchen. Die Kleidung der Frommen gebe einen veritablen Fetisch ab, sagt Liad Kantorowicz, da sie die Frage provoziere, was sich wohl darunter verbirgt.
Beliebt sind auch Bibelpornos wie Sodom und Gomorrha. In dieses Subgenre gehört ein Film, der Adam und Eva beim Sex mit Kondom auf einer blauen Campingdecke zeigt (Tiefer, Adam!). Ein offenbar nicht sehr bibelfester Zuhörer fragt: »War das die Jungfrau Maria?« Kantorowicz antwortet: »Nein, das war Eva. Wir sind Juden, wir haben keine Jungfrau Maria. Euren Maria-Porno müsst ihr schon selber drehen.«
Fazit des nicht sehr wissenschaftlichen, wohl aber unterhaltsamen Vortrags: Der israelische Porno bringt, unter Umgehung der Political correctness, undiskutierte gesellschaftliche Tabus zur Sprache. Apropos Tabus und Obsessionen: Kantorowicz erwähnt ein Gerücht, wonach in Israel manche Pornos speziell für den deutschen Markt produziert würden, weiß aber nicht, ob das wirklich stimmt.
Am folgenden Abend lädt Yair Hochner, Filmregisseur und Mitveranstalter des Lesbisch-schwulen Filmfestivals in Tel Aviv, zu einer Reise durch die israelische Filmgeschichte ein. Die Darstellung von Frauen und sexuellen Minderheiten im Mainstream-Kino steht im Mittelpunkt, von der ersten nackten Brust auf einer israelischen Kinoleinwand 1964 über die auch hierzulande erfolgreiche Eis am Stiel-Reihe (1978 ff.) bis zu der Agenten-Parodie Mossad – Deep Investigation (mit derselben Darstellerriege wie Stranded at the Military Base). Hochners Schwerpunkt ist indes das selbstbewusste Coming out schwuler Regisseure wie Amos Gutman und Eytan Fox in den achtziger und neunziger Jahren. Gutman, der bis zu seinem Aids-Tod 1993 nur vier Filme realisieren konnte, ist mit Ausschnitten aus seinen Streifen Drifting (1982) und Amazing Grace (1992) vertreten. Der größte Teil des gezeigten Materials stammt aus Filmen von Eytan Fox, der durch Produktionen wie Yossi & Jagger oder dem auf der letzten Berlinale gefeierten The Bubble auch in Deutschland vielen ein Begriff ist. Hierzulande nicht zu sehen war bisher Fox’ sehr erfolgreiche Fernsehserie Florentine von 1996, die sich um hippe Mittzwanziger in Tel Aviv dreht. Der Strasberg-Schüler und Songwriter Uri Banai, der in der Serie den schwulen Iggy spielte, ist an diesem Abend anwesend und berichtet von seinen Erfahrungen, als Heterosexueller in der Öffentlichkeit aufgrund seiner Rolle für schwul gehalten zu werden. So schlimm sei es gar nicht gewesen: Er sei nicht angefeindet worden, und seiner Karriere habe die Rolle auch nicht geschadet.
Israel ist eben nicht nur die einzige Demokratie im Nahen Osten; es ist auch das einzige Land der Region mit einer legalen und akzeptierten Sexfilmindustrie. Ob das eine mit dem anderen zusammenhängt?