von Sabine Brandes
Es war nicht nur ein existentieller Krieg, es war auch das mediale Ereignis des Jahres, wenn nicht gar das des Jahrzehnts. Während die israelischen Soldaten gegen die Hisbollah kämpften, tobte auch in der Medienwelt eine Schlacht. Die Fernsehsender eins, zwei und zehn erhöhten ihre Nachrichtenzeit von drei auf siebzehn Stunden, die Tageszeitungen druckten fast täglich Sonderausgaben, Radiosender hatten ihre Berichterstatter tagein, tagaus an der Front, und das Internet war ohnehin rund um die Uhr präsent. Der Internetauftritt »Ynet« der Tageszeitung Yedioth Ahronoth sprengte während des Krieges die Grenze von einer Million Besucher pro Tag.
Es waren Momente dabei, die in die Mediengeschichte eingehen werden. Etwa als Starmoderatorin Oschrat Kotler und ihre Gesprächspartner derart vom Staub der Panzer eingehüllt wurden, daß minutenlang nichts als ein gelber Bildschirm zu sehen und gequältes Husten zu hören war. Andere Berichterstatter an der Front mußten sich samt Kameramann im Katjuschahagel ducken, so nah waren sie am Geschehen. Auch das Publikum war immer live dabei. Im Radio konnten die Zuhörer das Programm mit ihren Erlebnisberichten selbst gestalten.
Nicht selten verkamen die Berichte dabei zu inhaltsleeren Hüllen, an welcher Stelle die meisten Bomben fallen. Tatsächliche Nachrichten und das Warum hinter dem Wie blieben auf der Strecke. »Hier bei uns in der Ben-Gurion-Straße in Haifa hat es gerade heftig ›Boom gemacht‹, das kann höchstens 50 Meter entfernt gewesen sein«, berichtete ein Bewohner per Handy aus dem Schutzbunker. Wenige Minuten später rief derselbe Mann noch einmal an und erzählte, wo genau die Katjuscha eingeschlagen war. Er hatte gerade nachgesehen. Zentimetergenau und zeitgleich. Und der Feind hörte mit. Dabei war die Lage in der drittgrößten Stadt besonders brisant: Riesig war die Angst, daß die Hisbollah die sensiblen Chemieanlagen treffen und damit ein Massensterben auslösen könnte. Kurz nachdem eine Rakete im Industriegebiet niedergegangen war und acht Menschen getötet hatte, wies ein heimischer Reporter darauf hin, daß er den exakten Ort aus verständlichen Gründen nicht preisgeben dürfe. Hinter ihm stieg dichter Rauch auf, und er stand unter einem Straßenschild.
Nach diesem Einschlag setzte die israelische Armee eine teilweise Zensur durch. »Es gelten die Regeln des Krieges«. So hieß es immer öfter: »Einschlag im offenen Feld.« Direkte Treffer auf Wohnorte jedoch wurden im Fernsehen nach wie vor gezeigt, und im Internet tauschten sich Blogger in ihren privaten Web-Tagebüchern mit erschreckender Regelmäßigkeit über die Einschlagshäufigkeiten in ihren Städten aus.
Reservist Igal Z., der wochenlang in Kirijat Schmona eingesetzt war, um die aus dem Libanon zurückkehrenden Soldaten zu betreuen, ist noch immer entsetzt über das Verhalten einiger Medienvertreter. An ein Ereignis erinnert er sich genau: »Unser Kommandant hatte uns zu einer strenggeheimen Mission eingeschworen, und wir machten uns auf den Weg. Um uns abzulenken, drehten wir das Radio auf. Aber statt Musik hörten wir eine Reportage über unseren Auftrag, sie gaben sogar die Route durch und erzählten, wo genau Lkw mit Munition fahren.« Z. ist noch heute geschockt: »Die haben völlig naiv berichtet und damit unser Leben riskiert. Meinten sie denn, der Feind kann kein Hebräisch?«
Heute, mehr als drei Wochen nach dem Waffenstillstand, wird die Frage, wie die in- und ausländischen Medien in diesem Krieg reagiert haben, heftig diskutiert. Experten prangern vor allem die mangelnde Sensibilität an und meinen, teilweise hätten Fernseh- und Radiostationen wie Zeitungen in die Hände des Feindes gespielt.
Zvi Mazel, ehemaliger Botschafter in Ägypten und Schweden, kritisiert vor allem die Außenministerin Zipi Livni, die seiner Meinung nach im Umgang mit den ausländischen Medien komplett versagt habe. »Während Hisbollah einen Mediensieg davongetragen hat und Al Dschasira zu seinem persönlichen Propagandakanal machte, versteckte sie sich in ihrem Büro oder sonst wo«, klagt Mazel. Livni hätte Tag und Nacht Interviews geben müssen, um die israelische Seite zu erklären und die Ansprüche des Feindes anzufechten. »Sie hätte versuchen müssen, eine andere Stimmung in den Medien zu kreieren, hat aber nichts dergleichen getan.«
Einige ausländische Journalisten, darunter Simon McGregor-Wood, Bürochef von ABC News, geben Israel und seiner Armee die Schuld an der ausländischen Berichterstattung. »Der Zugang der Journalisten zum Schlachtfeld wurde ausschließlich von der israelischen Armee kontrolliert«, so McGregor-Wood, »und ich bin enttäuscht, daß sie uns nicht mehr Möglichkeiten gegeben hat.« Stephen Farrell von der London Times hingegen erklärt, daß er die Kämpfe zwischen Armee und Hisbollah ständig per Fernglas verfolgen konnte. Ravi Nessman, Leiter von Associated Press in Jerusalem, macht deutlich, daß es unmöglich gewesen sei, zuverlässiges Material aus dem Libanon zu bekommen: »Wir wußten nicht, welche Zahlen stimmen. Sogar Wochen später wissen wir nicht, ob 800 Menschen gestorben sind oder 1.200.«
Yair Lapid, Kolumnist von Yedioth Ahronoth, und Sohn des Politikers Tommy Lapid, übt sich in Selbstkritik. Was von Seiten der einheimischen Medien alles falsch gelaufen ist, beschreibt er in »acht Gründen, warum wir gründlich versagt haben«. Lapid beklagt unter anderem Verantwortungslosigkeit, mangelnde Zurückhaltung und Fairneß sowie zuwenig Bescheidenheit. »Meinungsfreiheit wurde nicht nur eingesetzt, um Soldaten klarzumachen, daß sie ihr Blut für nichts und wieder nichts vergießen, nur weil die Generäle nicht verstehen, was jeder Journalist schon lange weiß.«
Lapid resümiert, daß es jedoch kein Mangel an Vaterlandsliebe war, der die Medien in diesen Taumel führte. »Zum Teil wurden die Fehler unschuldig begangen, zum Teil aus Arroganz.« Zu bedenken sei aber, daß es Israels erster Krieg in Zeiten einer multimedialen Welt gewesen ist. »Ein Konkurrenzkampf, impulsiv und inkonsequent. Nicht nur den Soldaten fehlte es an Ausrüstung. Auch uns, den Medien.«