von Hannes Stein
Jeden Freitagabend, den Gott werden lässt, senkt sich allmählich von New York über Indiana und Nebraska bis nach Kalifornien die Ruhe des Schabbat über die Neue Welt herab. Doch vielen der 5,2 Millionen amerikanischen Juden bedeutet das nichts. Zwei Drittel gehen nicht in die Synagoge, um die Schabbatbraut willkommen zu heißen, sie zünden keine Kerzen an und schneiden am reichgedeckten Tisch keine Challa auf, um die Scheiben in Salz zu tunken.
Vor allem solche säkularen Juden will das National Jewish Outreach Program, das bereits in den 80er-Jahren gegründet wurde, mit der Initiative »Shabbat Across America« locken. Bereits 550 Synagogen nehmen daran teil, sagt Rabbi Yitzchak Rosen- baum stolz, der Vizedirektor der Organisation. Er hofft, dass sich bis zum 20. März, dem nächsten Stichtag, mindestens 600 Synagogen beteiligen werden.
Doch nicht nur säkulare Juden sind angesprochen. Orthodoxe Synagogengemeinden nehmen ebenso teil wie konservative und Reformgemeinden. Bedingung ist lediglich, dass das Essen, das am Freitagabend verabreicht wird, koscher ist, und dass an diesem einen Schabbat die Regeln der Halacha eingehalten werden. Im Grunde aber geht es nur um den Freitagabend: Säkularen Juden soll das Erlebnis traditioneller Wärme, Herzlichkeit und Freude vermittelt werden, »damit sie wiederkommen«, wie Rabbi Rosenbaum sagt.
Die Gottesdienste, die am 20. März quer über den amerikanischen Kontinent stattfinden, sind allesamt für Anfänger konzipiert. Auch Leute, die kein Hebräisch können, verstehen dort mehr als nur Bahnhof. Das Outreach Program betreibt eine Art Arbeitsteilung. Die Synagogen übernehmen das Catering und den Gottesdienst, die Mitarbeiter von »Shabbat Across America« machen im Vorfeld Reklame, damit am Freitagabend genug Leute kommen. »Wir werben im Internet und in der Zeitung, aber auch im Radio«, so Yitzchak Rosenbaum.
Brennpunkt der Bemühungen ist New York. Aber auch ganz abgelegene Orte schließt »Shabbat Across America« mit ein, zum Beispiel die Synagogen auf Militärstützpunkten. So wird auch an der Offutt Airforce Base in Nebraska der Brotsegen über die Challa gesprochen.
Die Religion gedeiht in der Krise – das wusste schon Karl Marx, der schrieb, sie sei »der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist«. Rabbi Ephraim Buchwald, der das Outreach Program gründete, merkt an, dass das Bedürfnis nach Schabbes und Jüdischkeit unmittelbar nach dem 11. September 2001 sprunghaft anstieg. Mittlerweile hat sich dieser Effekt verbraucht, aber auch jetzt, in der Wirtschaftskrise, gibt es wieder mehr Menschen, die Halt suchen und ihn in der Synagoge finden. Gleichzeitig gibt es freilich die große Schwellenangst vor dem jüdischen Gotteshaus: Amerikanische Juden, die ohne jede religiöse Bindung aufgewachsen sind, wagen sich häufig nicht in eines jener ehrfurchtgebietenden Gebäude hinein, wo in einer Fremdsprache gebetet wird und Rabbiner seltsame altorientalische Rituale zelebrieren. »Shabbat Across America« wurde erfunden, um diese Schwellenangst zu beseitigen oder wenigstens zu lindern.
Wird das National Jewish Outreach Program sich irgendwann in ein »International Jewish Outreach Program« verwandeln? Wird »Shabbat Across America« irgendwann »Shabbat Across the World« heißen? Yitzchak Rosenbaum lacht. Im Moment sei daran nicht zu denken, meint er, obwohl die Initiative sich über die amerikanischen Staatsgrenzen hinaus erstreckt: Auch in Kanada haben sich Synagogen angeschlossen, und sogar in Mexiko werden Gemeinden am Freitag Synagogenfremde einladen, um mit ihnen zusammen zu feiern. Anfragen gab es auch aus Großbritannien. »Aber wir haben nur 20 Mitarbeiter und ein Budget von zwei Millionen Dollar«, erklärt Rabbi Rosenbaum. »Wir können nicht mehr tun, als wir jetzt tun.« Doch das Konzept von »Shabbat Across America« sei keinem Copyright unterworfen. Jeder könne die Organisation im Internet finden und nach ihrem Vorbild selbst etwas auf die Beine stellen.
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