von Lisa Borgemeister
Auf den ersten Blick ist in der Mainzer Hindenburgstraße nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Spaziergänger schlendern gemütlich durch die Allee, das Laub raschelt unter ihren Füßen. Manche tragen ihre Einkäufe nach Hause, andere führen Hunde spazieren. Vor dem Haus mit der Nummer 44 ist ein schmaler Streifen des Gehwegs durch einen Bauzaun blockiert. Doch weder Baulärm noch Dreck stören an diesem sonnigen Nachmittag. Passanten nehmen kaum Notiz davon.
In den nächsten Wochen wird sich das ändern. Denn das mehrstöckige Bürogebäude hinter dem Bauzaun muss dem geplanten Neubau einer Synagoge mit Gemeindezentrum weichen. Das ehemalige Hauptzollamt steht seit 1955 an jener Stelle, an der bis zur Pogromnacht 1938 die Hauptsynagoge der Israelitischen Religionsgemeinschaft stand. Jetzt – fast 70 Jahre später – baut die jüdische Gemeinde auf diesem Gelände in der Mainzer Neustadt wieder.
»Wir sind so froh, dass es jetzt endlich losgeht.« Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz, Stella Schindler-Siegreich, jubelt. Zwar sei die für den 9. November geplante Grundsteinlegung um zwei Wochen nach hinten verschoben worden. »Aber die Zeit drängt trotzdem.« Bis zum 23. November muss das rund 3.800 Quadratmeter große Areal von den alten Gebäuden befreit sein. Erschwert werden die Abrissarbeiten durch eine Astbestbelastung des ehemaligen Hauptzollamts.
Während von außen noch keine Zeichen vom bevorstehenden Abriss künden, sind die Arbeiten im Inneren des Gebäudes bereits in vollem Gange. Im Hof türmt sich der Bauschutt, daneben steht ein großer Bagger. »Das geht ruckzuck«, verspricht ein Bauarbeiter und deutet nach oben, wo leises Hämmern aus den offenen Fenstern dringt. »Wenn wir das Haus erst einmal fertig entkernt haben, ist es ganz schnell abgerissen.«
Dass an der gleichen Stelle schon bald ein jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge entstehen soll, ist ihm neu. »Ich habe vorne an der Straßenseite ein Mahnmal gesehen«, fällt ihm dann ein. »Ist doch gut, wenn die Gemeinde an diesem Fleck ein neues Gotteshaus bekommt.« Das Mahnmal ist auch einem weiteren Mann aufgefallen. Aufmerksam studiert er die Inschrift und betrachtet dann nachdenklich die wenigen verbliebenen Reste des Säulenvorhofes der ehemaligen Hauptsynagoge. Auf die Frage, ob er weiß, was hinter dem Bauzaun geschieht, nickt er. »Ich habe davon in der Zeitung gelesen. Mir war nur nicht klar, wo genau sich das Baugrundstück befindet. Jetzt bin ich durch Zufall dran vorbeigekommen.«
Dass die rund 1.000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde nach jahrzehntelangem Bemühen nun endlich wieder eine Synagoge bekommen, freut den Mainzer. Doch ein wenig skeptisch ist er auch: »Ich bin noch nicht sicher, wie gut sich die Architektur des Baus hier in die Umgebung einpassen wird.« Der Entwurf für den futuristisch anmutenden Neubau, ein in fünf Teile aufgesplitteter Gebäudekomplex, entstand Mitte der 90er-Jahre. Die äußere Form des vom Kölner Architekten Manuel Herz geplanten Gebäudes zitiert die hebräische Schrift und ist dem Segenswort »Keduschah« nachgebildet. Die Synagoge ist nach Osten ausgerichtet und wird durch einen Lichttrichter erhellt. Die Form ist einem Schofar nachempfunden, jenem rituelle Widderhorn, das an Rosch Haschana und am Abend von Jom Kippur geblasen wird. Das Gesamtkonzept soll nach Angaben von Architekt Herz der historischen Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Mainz Ausdruck verleihen. Die Mainzer Geschichtsbücher belegen bereits für die zweite Hälfte des zehnten Jahrhunderts hier eine blühende jüdische Gemeinde.
Dass das Modell des Kölner Architekten erst jetzt in die Realität umgesetzt wird, hat verschiedene Ursachen. Lange Zeit hoffte die Gemeinde, dass der Bund sich –neben Stadt und Land – zu einem Drittel an den Kosten beteiligen werde. Doch der erteilte eine Absage. Im Februar schließlich fasste der Stadtrat den Beschluss, sich die Baukosten von gut 10 Millionen Euro mit dem Land zu teilen. Auch die Verhandlungen über das Grundstück zogen sich in die Länge. Erst seit Ende September ist die jüdische Gemeinde wieder im Besitz des Areals an der Hindenburgstraße.
Die jüdische Gemeinde in Mainz klagt schon lange über akute Raumnot. In den 90er-Jahren stieg die Mitgliederzahl innerhalb weniger Jahre durch jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion von 150 auf mehr als 1.000. Das Gemeindezentrum an der Forsterstraße ist längst viel zu klein. »Mit dem Neubau kann sich die Gemeinde künftig auch besser nach außen hin präsentieren«, sagt die Vorsitzende Schindler-Siegreich.
In dreieinhalb Wochen soll alles abgerissen und entsorgt sein. Gleichzeitig beginnen die Ausschreibungen für Rohbau, Haustechnik und Innenausbau. Läuft alles nach Plan, können die Bagger im Januar für den Neubau anrollen. Die Eröffnung ist für Frühjahr 2010 geplant. Die Kosten für die künstlerische Ausgestaltung und die Inneneinrichtung trägt die Gemeinde selbst. Ausgaben in Höhe von einer Million Euro sind dafür veranschlagt – die Gemeinde sammelt bereits fleißig Spenden.