von Detlef David Kauschke
Eine amerikanische Jüdin ist unterwegs in Indien, um dort bekannte Gurus aufzusuchen. Bei einem muss sie sich in eine lange Schlange gläubiger Hindus einreihen. Als die Frau endlich vor dem geistigen Führer steht, bekommt sie von einem Aufpasser zu hören: »Nur drei Worte, nicht mehr.« Die Jüdin überlegt kurz und sagt: »Moishe, come home!«
Wie viele Witze, so hat auch dieser einen realen Hintergrund. Ebenso wie der Hinduismus übt auch der Buddhismus auf viele Juden große Anziehungskraft aus. Ein Drittel der US-amerikanischen Buddhisten stammt aus jüdischen Familien. Einer ihrer berühmtesten Vertreter war der Dichter Allen Ginsberg. Auch für junge Israelis scheinen die fernöstlichen Philosophien besonders attraktiv zu sein. Viele Tausende reisen Jahr für Jahr vor allem nach Indien.
Der heute beginnende Besuch des Dalai Lama in Deutschland löst eine Welle der Begeisterung aus. Viele Menschen spüren eine gewisse Faszination, die von dem Gast aus Tibet ausgeht, der im Übrigen zahlreiche jüdische Freunde hat. Zu seinen Vorträgen in Hamburg und Freiburg werden Zehntausende Zuhörer erwartet.
Buddhismus – das heißt Spiritualität und Ruhe, harmonische Klänge und geistreiche Gedanken. Die Entdeckung der fernöstlichen Lehre ist spannend. Judentum hingegen ist für viele Barmizwa, Chanukka, Klesmer und Gefilte Fisch. Bekannt und vertraut zwar, doch für die, die es leben, ist Judentum eher selten aufregend.
Ähnlich dachte auch Alexander Seinfeld. Der Rabbiner aus Baltimore stammt von der amerikanischen Nordwestküste, hat Altertumswissenschaften und Anthropologie an der Stanford University studiert. Er kommt nach eigenem Bekunden aus einer »nicht sehr jüdischen« Familie. Auch er ging auf die Suche und fand die fernöstliche Philosophie. Er praktizierte Buddhismus und Hinduismus, war mehrfach in Indien unterwegs – und fand dort zurück zum Judentum.
Über die Beschäftigung mit seinem Karma entdeckte Seinfeld die uralte spirituelle Kunst seiner Religion wieder. Dabei stellte der Rabbiner fest, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Spiritualität, die dem Judentum innewohnt, nicht verloren gegangen, wohl aber von der Allgemeinheit kaum noch zur Kenntnis genommen worden war. Mehr noch: Seinfeld ist davon überzeugt, dass das Judentum nicht nur viel von der fernöstlichen Spiritualität enthält, sondern dessen Grundlage sein könnte. Seiner Meinung nach gibt es historische und linguistische Belege dafür, dass Judentum und Hinduismus gemeinsame Wurzeln haben.
Seinfeld verweist auf die Tora. Dort steht im 1. Buch Moses, dass Abraham einige seiner Kinder Richtung Osten schickte: »Den Söhnen seiner Kebsweiber gab Abraham Geschenke und schickte sie ... hinweg gen Osten, in das Ostland.« Welche Geschenke gab er den Söhnen, nachdem er bereits zuvor sein ganzes Hab und Gut an Itzhak gegeben hatte? Spirituelles Wissen, glaubt Rabbiner Seinfeld. Moses’ Kinder nahmen es mit Richtung Osten, in den Norden Indiens. Dort liegt der Fluss Indu. Nach ihm wurde später die neue Religion Hinduismus genannt. »Indus« bedeutet: »der von der anderen Seite«. Das Wort Hebräer (Hebräisch: Iwri) bedeutet ebenfalls »der von der anderen Seite«.
Abraham und Sara lebten etwa 2.000 Jahre vor der modernen Zeitrechnung. Zur gleichen Zeit, so ist in der indischen Geschichte überliefert, sollen »arische« Stämme in den Norden des Landes gekommen sein. Der Begriff Arier stammt aus dem Sanskrit und bedeutet »der Edle«. Diejenigen, die Abraham damals gen Osten schickte, gehörten zu seiner großen Familie, ohne Zweifel eine reiche und edle Sippe. Abrahams Urenkel hieß Aschurim, das bedeutet in der Übersetzung aus dem Aramäischen »Kommune« oder »Lager«. Leitet sich das Wort Aschram aus dem Namen Aschurim her? Der Gleichklang der Wörter sei nicht zufällig, glaubt Seinfeld. Abraham, Brahma. Sara, Sarasvati. Brahma ist der höchste Gott in der vedischen Religion, Sarasvati seine Frau. Das Wort Veda, die Quelle des Hinduismus, bedeutet Wissen. Veda wiederum hat eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem hebräischen Wort Jeda, Wissen.
Viele halten diese Theorien für wissenschaftlich nicht zu belegen. Andere glauben, dass es im Leben von Moses und Buddha sogar einige biografische Parallelen gegeben hat. Beide wuchsen zum Beispiel ohne Mutter auf, wurden als Prinzen groß und gingen dann ihre eigenen Wege.
Trotz aller Gemeinsamkeiten: Die fernöstlichen Religionen und das Judentum sind höchst unterschiedlich. Während einige im Buddhismus und Hinduismus Sinn und Wahrheit suchen, finden sie zum Judentum zurück. So war es auch bei Rabbiner Seinfeld. In seinem Buch The art of amazement nennt er die jüdische Religion eine »spirituelle Goldmine«, die es zu entdecken gilt. Wer dieses Abenteuer unternimmt, kann sich den langen Weg nach Indien oder Tibet sparen.