von Markus Hesselmann
Für Tuvia Schlesinger war es »der schlimmste antisemitische Vorfall im deutschen Sport seit dem Ende der Hitlerdikatur«. Der Vorsitzende des Turn- und Sportvereins Makkabi Berlin, alles andere als ein Alarmist, wählte drastische Worte, um die Vorfälle vom 26. September in Berlin-Altglienicke zu beschreiben. Eine Gruppe von Rechtsradikalen hatte beim Kreisliga-Spiel zwischen VSG Altglienicke und TuS Makkabi immer wieder Nazi-Parolen gegrölt (vgl. Seite 11). Aus dem Sommermärchen, das in diesen Tagen mit Sönke Wortmanns WM-Film im Kino wieder auflebt, war für die Makkabi-Fußballer ein trüber deutscher Herbst geworden. Und nicht nur für sie: Zuvor schon waren schwarze Fußballer wie der Nigerianer Adebowale Ogungbure, der Brasilianer Kahe und der deutsche Nationalspieler Gerald Asamoah von rassistischen Fans im Stadion beleidigt worden.
Rassismus und Antisemitismus auf dem Fußballplatz – alles wie gehabt, auch nach dem fröhlich-patriotischen WM-Fest. Und doch ist etwas neu. Zum ersten Mal gibt es in Deutschland ein nachhaltiges öffentliches Bewußtsein für das lange Zeit unterschätzte Problem. Als Asamoah im DFB-Pokal von Rostocker Fans mit Affenlauten verhöhnt wurde, gab es einen bis dahin so nicht gehörten Aufschrei im Land. Theo Zwanziger, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, hat den Kampf gegen Rassismus als erster DFB-Chef zu seinem persönlichen Anliegen erklärt. Nach Jahrzehn- ten ist die Botschaft beim DFB angekommen, daß es nicht hilft, solche Probleme einfach auszusitzen.
Es scheint, daß sich die Hüter des Fußballs ihrer Verantwortung stärker bewußt werden für ein Spiel, das es in sich hat. Der Soziologe Norbert Elias hat die zivilisationsfördernde Wirkung des Fußballs beschrieben, eines Spiels, das klaren Regeln unterworfen ist, die Brutalität verhindern, sich aber gleichzeitig genügend Körperlichkeit bewahrt, um als Ventil für Aggressionen zu dienen. Der Kulturwissenschaftler Diedrich Diederichsen geht einen Schritt weiter und preist »die erschreckende Schönheit dieser uncodierten, puren, im besten Sinne ›bösen‹ und zerstörerischen Energie im Stadion«. Für Diederichsen wohnt dem Fußball eine subversive Kraft inne. Fußballfans trauen sich in der Masse Dinge, die sie als Individuen nie wagen würden. Im besten Fall erwächst daraus Kreativität und Kritik, etwa zu DDR-Zeiten, als im Stadion Spottgesänge auf die Nomenklatura angestimmt wurden. Oder während der Apartheid in Südafrika, als das Stadion der einzige Ort war, an dem sich Schwarze unge- hindert versammeln konnten. Im schlechten Fall aber richtet sich die »böse Energie« nicht gegen die Mächtigen, sondern gegen Minderheiten. Oder gegen beide, denn rechtsradikale Parolen werden in einem demokratischen Staat, der seine Minderheiten schützt, von vielen Jugendlichen durchaus als subversiv empfunden. Der Reiz des Verbotenen gehört zur Jugendkultur. Das ist nicht verharmlosend gemeint, im Gegenteil, es verschärft das Problem. Jugendkulturelle Prägungen, das kann jeder bei sich selbst beobachten, halten sich ein Leben lang, werden häufig verklärt und als gute alte Zeit in Erinnerung behalten.
Eine doppelte Strategie ist dagegen womöglich hilfreich, Abschreckung und Überzeugung: Auf der einen Seite Polizisten und Ordnungskräfte, die konsequent durchgreifen und gezielt Stadionverbote gegen rassistische und antisemitische Pöbler verhängen. Dazu Sportgerichte, die die neuen, strengen Anti-Rassismus-Regeln des Weltverbandes Fifa bis hinunter in die Kreisliga durchsetzen. Und schließlich Schiedsrichter, die – anders als bei jenem Spiel des TuS Makkabi in Berlin – konsequent mit Strafen drohen und zur Not auch Spiele abbrechen, wenn Pöbler partout keine Einsicht zeigen.
Doch auch die anderen Akteure müssen sich ihrer Verantwortung bewußt werden:
Fußballreporter dürfen Affengegrunze und »Asylanten«-Rufe nicht länger für einen normalen Bestandteil der Fanfolklore halten und sollten stattdessen kritisch darüber berichten. Fans müssen aufstehen gegen die Klotzköpfe in ihren Reihen. Besser noch als die durchaus erfolgreichen sozialpädagogischen Fanprojekte wirken selbstverwaltete Faninitiativen. Im problematischen Umfeld Mecklenburg-Vorpommern setzt der FC Hansa Rostock verstärkt auf diesen Effekt. Der Fanbeauftragte des Vereins kommt selbst aus der Fanszene. Er hat die nötige Glaubwürdigkeit, um sofort nach den Pöbeleien gegen Asamoah eine Aktion gegen Rassismus zu starten, die nicht augenblicklich verpufft, weil Fans sie als von oben herab empfinden.
Dann ist da noch die Verantwortung der Fußballer selbst. Jens Lehmann ging zuletzt mit schlechtem Beispiel voran, als er im Fernsehen zu möglichen Ausschreitungen beim Länderspiel gegen die Slowakei in Bratislava befragt wurde. Der Nationaltorwart druckste herum und sagte, daß das nicht in die Zuständigkeit der Spieler falle. Auch Profis dürfen Stellung beziehen.
Der Autor leitet das Sportressort beim Berliner Tagesspiegel.