von Veronique Brüggemann
und Katrin Richter
Wir schreiben das Jahr 1991. Die Sommerlinde ist der Baum des Jahres, der Bundestag beschließt den Umzug von Bonn nach Berlin, das Gesetz für Kontingentflüchtlinge wird verabschiedet und Kurt Cobain schreibt mit seiner Band Nirvana einen der wichtigsten Songs der 90er-Jahre, »Smells like Teen Spirit«. Der Song, der ein Protest gegen die müde gewordene Jugend war, traf den Nerv vieler Jugendlicher: »Here we are now, entertain us« heißt es im Refrain. »Unterhaltet uns!«
Die Kinder, die 1991 das Licht der Welt erblickten, sind heute 16 und damit im besten Teenager-Alter. Und da Jugendliche auch schon mit 16 Träume haben, möchten sie unterhalten werden. Kino, Disco, Partys, das riecht nicht nur nach Teen Spirit, sondern klingt auch aufregend. Doch jüdische Jugendliche schauen oftmals in die bekannte Röhre, wenn es um ihre Unterhaltung geht, denn die Gemeinden haben meistens wenige finanzielle Mittel, um interessante Programme zu gestalten. Auf der anderen Seite bestimmt die Nachfrage aber auch das Angebot und darin liegt ein weiteres großes Problem der Gemeinden: Sie haben zu wenig Jugendliche. Gerade den kleinen Gemeinden laufen die jungen Leute davon. Wer nicht in Berlin, München oder Frankfurt wohnt, der hat nicht gerade die größte Auswahl an Freizeitaktivitäten in der Gemeinde.
Irina Plischuk ist Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Weiden. Die ostbayerische Stadt hat rund 42.000 Einwohner. 294 von ihnen sind Gemeindemitglieder. Doch nur 23 sind unter 20 Jahre alt. »Wir haben da mal was angeboten«, sagt Irina Plischuk, »doch seit diesem Jahr ist totale Stille. Viele Jugendliche haben ihr Abitur gemacht und gehen in eine andere Stadt.« Die zunehmende Abwanderung ist das Problem. Gerade einmal zwei Studenten engagieren sich noch am Wochenende und betreuen eine Tanzgruppe für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. »Die sind richtig gut«, sagt Irina Plischuk stolz. Momentan bereiten sie ein Chanukka-Programm vor. Und doch klingt sie resigniert, wenn sie sagt: »Das ist alles, was bei uns an Jugendarbeit übrig geblieben ist.« Aber es muss weitergehen.
Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt) ist die Organisation, die sich am intensivsten um die Jugendarbeit in den Gemeinden bemüht. Neben einer Vielzahl eigener Veranstaltungen, wie Ferienlager oder Weiterbildung, bietet sie den Gemeinden Beratung in Sachen Jugendarbeit an. Da sich aber jede Gemeinde auch ganz individuell um ein Programm für Kinder- und Jugendliche bemüht, variiert wiederum die Nachfrage bei der ZWSt. Eine weitere Möglichkeit, die Jugendarbeit in der Gemeinde zu organisieren, nimmt die Jüdische Gemeinde in Frankfurt an der Oder wahr. Mit Hilfe eines Projektes der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule Brandenburg (RAA) versucht Dina Ulrich, ein abwechslungsreiches Programm zu erstellen. Da in der Gemeinde selbst nur unregelmäßig Kurse und Treffen für Jugendliche angeboten werden, möchte Ulrich die Jugendlichen mit Projektfahrten oder Workshops in das Gemeindeleben integrieren. Mit ein wenig Stolz in der Stimme sagt sie, dass ihre Workshops gern besucht werden. Zwar hat die Zahl der Teilnehmer gerade die zehn durchbrochen, aber Dina Ulrich denkt an morgen und nicht an Zahlen. Um auch auf die Bedürfnisse der Teilnehmer einzugehen, können sie bei regelmäßigen Feedback-Runden Kritik und Vorschläge anbringen. »So kann ich mich besser auf das einrichten, was meine Jugendlichen interessiert.«, betont die Projektleiterin.
Ein etwas anderes Bild bietet sich in der Jüdischen Gemeinde Marburg. Dort engagiert sich Thomas Schmermund ehrenamtlich für den Gemeindenachwuchs. Das Durchschnittsalter der älteren Mitglieder liegt etwa bei 60. Zu den Veranstaltungen kommen meist 25 Jugendliche um die 17 Jahre. »Die Jugendarbeit ist nicht so sehr institutionalisiert«, sagt Monika Bunk, stellvertretene Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. Seit einem Jahr hat die Sonntagsschule geöffnet, in der Kinder und Jugend- liche auch in jüdischer Religion unterrichtet werden. Ein Aspekt, der gerade für die vielen zugewanderten Familien wichtig ist, denn sie suchen auch religiöse Integration.
Für Religionsfragen offen ist auch der neue Rabbiner in der Jüdischen Gemeinde Magdeburg. Die kleine Gemeinde, die zirka 60 Kinder und Jugendliche hat, steht noch ganz am Anfang ihrer Jugendarbeit. Mit der neuen Sonntagsschule, Tagescamps und Exkursionen versucht sie, ihre jungen Mitgleider mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Wie sie unterhalten werden wollen und welche Kurse sich lohnen, welche eher abgelehnt werden, dafür werden die Magdeburger noch ein Gespür entwickeln.
Die Jüdische Gemeinde Kassel konnte gerade noch ihre Jugendarbeit retten. Die Stadtverordnetenversammlung sagte ihr gerade 60.000 Euro jährlich zu. Esther Haß, Vorsitzende der Gemeinde, ist erleichtert. Für sie und ihre Jugendlichen hat sich die harte Arbeit gelohnt.