von Sivan Wüstemann
40 Chuppas stehen aufgereiht nebeneinander, 40 schneeweiße Schleier wehen im Wind, 40 Gläser werden mit einem Mal zertreten. Israels Oberrabbiner Jona Metzger spricht den Segen, und 40 Brautpaare strahlen. »Masal Tow« ertönt aus Tausenden von Kehlen. »Heute zählt es nicht, ob wir Aschkenasen sind oder Sefarden. Es ist egal, welche Partei wir wählen. Heute sind wir alle Teil des Volkes Israel. Denn ›Am Israel chai‹, das israelische Volk lebt«, ruft Metzger ins Mikrofon. Am vergangenen Montag sind 40 israelische Paare in einer romantischen Massenzeremonie mit 4.000 Gästen am Hafen von Tel Aviv verheiratet worden. Sie alle mußten aus ihren Städten, Dörfern und Kibbuzim im Norden des Landes fliehen.
Leah Rosenberg und Sami Zeira stammen ursprünglich aus New York. Die beiden sind ein elegantes Paar, sie in einem bestickten Kleid mit Diadem im Haar, auch er ganz in Weiß. Auf dem Hinterkopf sitzt die klassische Hochzeitskippa aus Satin. Sie halten einander an den Händen, schauen sich immer wieder tief in die Augen. Ihre Hochzeit wollten Rosenberg und Zeira eigentlich in der nördlichen Kleinstadt Nescher feiern. Mit Gästen aus dem In- und Ausland, alles war gebucht. »Doch dann zerplatzte unser Traum von einem Tag auf den anderen«, so Rosenberg. »Wir hatten solche Angst, daß wir am Ende gar nicht heiraten können. Denn natürlich wollte niemand in den Norden kommen. Schon gar nicht die Gäste aus den USA. Es war ein Drama. Dabei hatten wir uns nichts sehnlicher gewünscht, als endlich Mann und Frau zu sein.« Jetzt seien sie umso aufgeregter und glücklicher, weil alles so anders und doch so wunderschön sei.
Seit dem Tag, als der Krieg gegen die Hisbollah begonnen hatte, waren pro Tag um die 70 Hochzeiten abgesagt worden. Von Metula bis Nazareth, von Kirijat Schmona bis nach Haifa. Für die Menschen, die sich lange auf ihren schönsten Tag vorbereitet hatten, war es eine persönliche Tragödie. »Meine Nichte konnte nicht aufhören zu weinen«, erzählt Rachel Ben-Chur aus Maalot. »Monatelang hatten wir alles haarklein geplant und uns unbändig darauf gefreut. Dann wurde die Halle, in der gefeiert werden sollte, zerstört. Aber selbst mit einem tollen Veranstaltungssaal wäre ja niemand gekommen.«
Für einen Teil der Hochzeitswilligen kam ein rettender Engel in Form des Produzenten Eliran Bardugo. Einige Wochen zuvor war er mit einem Künstlerteam durch den Norden gefahren, um die Menschen in den Bunkern aufzuheitern. Traurige Verlobte erzählten von den geplatzten Feiern. Bardugo, seit Jahren Profi im Unterhaltungsgeschäft, hörte aufmerksam zu und fuhr zurück nach Tel Aviv. Mit im Gepäck die Überzeugung, helfen zu wollen. Gleichzeitig wollte er ein Zeichen des Optimismus und der Hoffnung in Zeiten des Krieges setzen.
Shimrit Elimelech ist besonders glücklich. Nicht nur, weil sie ihrem Liebsten Jossi Benain hier und heute das Jawort gibt, sondern auch, weil sie noch am Leben ist. Das Paar stammt aus Kirijat Bialik in der Nähe von Haifa. Vor drei Wochen wurde ihr Haus von Hisbollah-Raketen komplett zerstört. »Es war ein Wunder, denn wir hatten unsere Wohnung nur Augenblicke vorher verlassen. Ein anderes Mal schlug eine Katjuscha wenige Meter von uns entfernt ein, als wir gerade im Auto fuhren.« Trotz der traumatischen Erlebnisse ist die Frau mit den schwarzen Locken und der weißen Blume im Haar zuversichtlich. »Wir hatten so viele Male einen Schutzengel. Das zeigt mir, daß alles gut werden wird.« Während sie das sagt, schmiegt sie sich an ihren Bräutigam. »Es sind starke Emotionen, viel Freude vermischt sich mit Trauer«, sagt der. »Ich bin sicher, daß wir noch unseren Enkelkindern von diesem Tag erzählen werden.«
Innerhalb von zwei Wochen trommelte Bardugo Sponsoren und Prominente zusammen, darunter israelische Banken, Lebensmittelhersteller, Supermärkte, Blumengeschäfte, Cateringfirmen sowie Sän-
ger Arkadi Duchin und Stardesignerin Galit Levi. Sie entwarf die 40 Brautkleider in nur sieben Tagen und Nächten. »Wir haben rund um die Uhr gearbeitet, es war einfach verrückt«, erinnert sie sich. Aber das sei es wert gewesen. Levi wollte jeder Braut ihre persönliche Phantasie erfüllen. »Ich fragte, ob sie Prinzessin sein wollen, Königin oder Fee und versuchte, jede Vorstellung umzusetzen.« Es scheint gelungen. Um Levi herum glänzen die Bräute in den unterschiedlichsten Traumgewändern. Von voluminösen Tüllröcken über perlenverzierte Oberteile samt atemberaubender Dekolletés bis zu schlichten Kleidern mit zarter Stickerei ist alles dabei. Normalerweise hätte sich kaum ein Paar ein derart hochwertiges Brautkleid leisten können. Schon gar nicht im Krieg. »Ich kann nicht für mein Land kämpfen«, erklärt Levi, »aber ich kann Kleider machen und so auf meine Art und Weise helfen.«
Für die Paare ist an diesem Tag alles kostenlos. Die Kleider und Anzüge, die Friseure, die Feiern samt Speisen und Getränken, die Rabbiner und sogar die Hochzeitsringe. Jedes Paar durfte bis zu hundert Gäste einladen, die im alten Hafen von Tel Aviv in der riesigen Halle 11 bis zum Morgengrauen tanzen, feiern und lachen. Bardugos Signal ist angekommen, als sich die 40 glücklichen Paare beim Eröffnungstanz unter Tausenden von goldenen Lichtern drehen: »Wir sind im Krieg und werden bedroht, aber wir lassen uns das Leben und Feiern nicht verbieten!«