von Christian Höller
Fast 70 Jahre nach der Enteignung durch die Nazis entsteht in Wien am Hakoah-Platz ein Sportzentrum mit einer jüdischen Schule. »Es wird mit 20.000 Quadratmetern das größte derartige jüdische Zentrum in Europa sein. Es gibt nichts vergleichbares«, sagt der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant. »Das Projekt ist ein wesentlicher Beitrag für die Lebensfähigkeit, Aktivität und Energie, die heute in der jüdischen Gemeinde Österreichs vorherrschen.«
Gleich drei Anlagen sollen in den kommenden Monaten errichtet werden: das Zwi-Peres-Chajes-Schulzentrum für 600 Kinder, die Sport- und Freizeitanlage des traditionsreichen Sportclubs Hakoah und das Maimonides-Altersheim. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 57 Millionen Euro. Größte Geldgeber sind der österreichische Staat und die Stadt Wien. Daneben gibt es einige private Sponsoren. Die geplante Anlage soll in der Leopoldstadt, dem historischen jüdischen Zentrum, enstehen. Laut Muzicant knüpft die Anlage an die Tradition des bekannten Sportvereins Hakoah (hebräisch »Kraft«) an. Dieser wurde 1909 gegründet – als Ausdruck des gestiegenen Selbstbewußtseins liberaler Juden und der veränderten Einstellung zur Körperkultur. Ein zweiter wichtiger Grund war die Ausgrenzung der Juden in anderen, »arischen« Sportvereinen.
Als Hakoah gegründet wurde, lebten in Wien 180.000 Juden. Heute zählt die Israelitische Kultusgemeinde 6.000 Mitglieder. In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich der Hakoah-Platz zum gesellschaftlichen Zentrum vieler Wiener Juden. Das Sport-Stadion hatte 3.500 Sitz- und 25.000 Stehplätze. Der jüdische Verein gehörte zu den besten Sportclubs Österreichs. Hakoahner errangen zahlreiche internationale Titel, auch bei den Olympischen Spielen waren sie erfolgreich. 1938 beschlagnahmten die Nazis die Sportanlage. 1941 wurde Hakoah aufgelöst, die jüdische Bevölkerung aus Wien vertrieben. Nach dem Holocaust wurde der Sportverein von den wenigen Überlebenden und Rückkehrern neu gegründet. Doch Österreich weigerte sich jahrzehntelang, die Sportanlagen zurückzugeben. Erst 2002 willigte der Staat ein und verpflichtete sich auf Druck der US-Regierung im »Washingtoner Abkommen«, ein Viertel des ehemaligen Grundstücks an die jüdische Gemeinde abzutreten.
Laut Hakoah-Präsident Paul Haber wird die neue Anlage für eine jüdische Gemeinde mit 20.000 Mitgliedern ausgerichtet sein. »Wir sind damit für die nächsten 20 Jahre gerüstet«, sagt Haber. Bis 2008 sollen die Sportstätten fertig sein. Geplant sind eine Dreifachsporthalle, Fitness-, Sauna- und Wellness-Bereiche, Tennisplatz und Liegewiese. Für den Bau eines überdachten 25-Meter-Schwimmbeckens fehlt das Geld noch. Hier will man sich um Sponsoren bemühen. Der Betrieb soll über Jahresmitgliedschaften finanziert werden. Auch andere Sportvereine und nichtjüdische Sportler sollen die Anlagen nutzen können. Be- sonders teuer dürften nach Ansicht von Haber die Sicherheitseinrichtungen werden. Erst kürzlich war die Wiener Chabad-Schule Ziel eines Anschlags.
Das Interesse an dem neuen Campus geht weit über die jüdische Gemeinde hinaus. »Nachdem wir die Rückkehr der Hakoah kommuniziert haben, sind viele Sportvereine auf uns zugekommen und haben angefragt, ob sie bei uns trainieren dürfen. Jetzt können wir endlich wieder Gastgeber sein, nachdem wir jahrzehntelang in fremden Sportstätten zu Gast waren«, freut sich der künftige Sportzentrumsleiter Ronald Gelbard. »Das ist auch ein Zeichen, daß unser Konzept aufgeht. Denn die Hakoah soll künftig für Jung und Alt ein Ort der Begegnung sein.« Das angrenzende Schulzentrum ist für 600 Kinder ausgelegt. Es wird einen Kindergarten, eine Volksschule und ein Gymnasium beherbergen mit Bibliotheken, Speisesälen und einer Synagoge. Bis 2009 soll auch das Maimonides-Seniorenwohn- und -pflegeheim auf den Campus übersiedeln. Und die Straße, an der sich die Anlage befinden wird, soll nach dem früheren Nazijäger Simon Wiesenthal benannt werden. Derzeit heißt sie noch Ichmanngasse. Benannt nach Franz Ichmann, Wienerliedtexter und – NSDAP-Mitglied.