Empörung herrscht unter den Schoa-Überlebenden in Israel. 2.500 Demonstranten formierten sich am vergangenen Sonntag vor der Knesset, um mit dem »Marsch der Lebenden« zum Amtssitz des Staatschefs gegen die Renten-Pläne von Regierungschef Ehud Olmert zu protestieren. Olmert hatte verkündet, den etwa 250.000 in Israel lebenden Opfern des Nationalsozialmus eine Zusatzrente von gerade mal 83 Schekel (rund 15 Euro) im Monat zahlen zu wollen. Die niedrige Summe hatte un-
ter den Betroffenen und in weiteren Kreisen der Öffentlichkeit Entrüstungsstürme ausgelöst.
»Warten die etwa, bis wir alle gestorben sind?«, fragt empört Jenny Rosenstein, während sie sich auf ihre Gehhilfe aus Aluminium stützt. »Für das lächerliche Geld im Jahr kann ich mir weder eine Brille noch Ersatzzähne beschaffen«, klagt die Frau aus der Ukraine. Sie war bei Kriegsende acht Jahre alt. »Als ich sechs war, haben die Nazis vor meinen Augen meiner dreijährigen Schwester mit einer Axt den Kopf geborsten. Ich habe Prügel und Erniedrigungen erlitten, die ich mein ganzes Leben mit mir herumtrage.« Die Frau, die heute in Jerusalem lebt, bezieht eine Rente, die weit unter der offiziellen Armutsgrenze liegt. »Der Staat hat uns vergessen und besonders die Behinderten und Kranken ihrem Schicksal überlassen.«
Insgesamt 660 Millionen Schekel (111 Millionen Euro) stellt die Olmert-Regierung den Holocaust-Überlebenden in Aussicht. Besonders die etwa 120.000 über 70-Jährigen sollen in den Genuss der Son-
derzahlung kommen.
Betroffene Organisationen schätzen die Zahl derjenigen, die in Armut leben, auf rund 60.000. Besonders schwer trifft es auch jene 150.000 Menschen, die seit Anfang der 90er-Jahre aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel eingewandert sind und denen keine Rente aus Deutschland zusteht. Viele leiden unter psychischen und körperlichen Behinderungen.
»Die Todesmärsche gegen Kriegsende sind uns heilig,« sagt Rosenstein. »Unser Leben heute ist uns aber noch heiliger.« Schmuel Reinusch, 70, hatte sich zwei gelbe Sterne an die Brust geheftet. Auf dem einem stand »Jude«, wie auf dem gelben Fleck, den die Nazis allen Juden aufzwangen, und auf dem anderen: »Verzeihung, dass ich noch lebe.« Der tägliche Marsch von Auschwitz nach Birkenau sei ihm leichter gefallen »als jetzt der Marsch zum Amt des Premiers«, sagte Reinusch.
Scharfe Kritik hatte sich Olmert bereits in der vergangenen Woche anhören müssen, als er seine Finanzhilfe mit den Worten ankündigte: »Wir wünschen, dass die Überlebenden des Holocaust ihren Lebensabend in Würde und ohne Not verbringen können.« Die Tatsache, dass Holocaust-Überlebende mit gestreiften Anzü-
gen und einem gelben Stern auf der Brust vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten demonstrierten, setzt Olmert unter Druck.
Der Premier beauftragte den Minister der Rentnerpartei, Rafi Eitan, einen Kompromiss zu suchen. Olmert will nach Angaben eines Regierungssprechers den neuen Plan in dieser Woche mit Vertretern der Holocaust-Überlebenden erörtern. Die Tageszeitung Jedijot Achronot meldete un-
terdessen, Kranken, Schwerbehinderten und Bedürftigen werde mit monatlichen Sofort-Zuwendungen zwischen 200 und 1.100 Euro geholfen. Dieses »Programm«, das bisher weder von der Regierung ratifiziert noch von den Überlebenden-Vereinen akzeptiert wurde, dürfte den Staat etwa 100.000 Euro kosten.
Ulrich W. Sahm mit dpa
Schoa-Überlebende